Sonnenwanderer

spielt.«
     
    Auf der ganzen Brücke hob alles, was Augen zum Sehen hatte, den Blick zur Galerie, wo sich die Türen der Kabinen öffneten. Sie öffneten sich alle gleichzeitig und alle gleich schnell. Goldenes Licht fiel aus den Öffnungen, und darin erschienen seltsam ähnliche Silhouetten: mit menschlichen Proportionen, die oben allerdings aus dem Rahmen fielen. Oben waren sie auf ehrfurchtgebietende und groteske Weise überdimensioniert.
    Als sie aus den Kabinen ans Geländer schwebten, genau fünfzig Zentimeter über dem Boden der Galerie, wurden ihre Gesichtszüge sichtbar. Man sah, dass sie ursprünglich Menschen gewesen waren. Bei dem Prozess, der ihren Schädel erweitert hatte, hatten sie ihr ganzes Haar eingebüßt, aber man konnte sie trotzdem identifizieren. Sie gehörten allesamt zu den vermissten Passagieren, waren hauptsächlich in Weiß gekleidet und schauten mit wohlgefälligem Lächeln und päpstlichen Gesten auf die gaffende Gesellschaft hinunter.
    Sie waren zu zehnt. Jener in klassischer Toga und Sandalen war ein Poet gewesen, erinnerten sich einige, ein ständiger Gast im Trivia -, und das war sein Freund, der dort im Arztkittel, aus dessen Tasche die Weichteile des Stethoskops hingen -, und der auch, der in Schnallenschuhen und rotblauer Robe, obgleich sein Kopf zu groß geworden war für die richterliche Perücke. Wie seidene Statuen schwebten sie in einem Reigen rings um die Brücke.
    Tabea Jute stieg brennende Säure in den Mund. Sie legte eine
Hand auf den Magen. Die Hand zitterte, oder vielleicht zitterte das Schiff.
    Direkt vor ihr schwebte die rundliche Gestalt, die sie begrüßt hatte. Er trug enge Hosen aus Leopardenfell und ein gestepptes, goldenes Cape mit Trichterkragen. Die schneeweißen Hemdärmel waren gerüscht, die Manschetten mit übergroßen Platinhaken geschlossen. Seine rechte Hand war aus Glas.
    »Käpt’n!«, rief Bruder Marco und salutierte. »Willkommen auf Capella!«

Die englische Originalausgabe erschien
unter dem Titel »Seasons of Plenty (Tabitha Jute 02)«
bei Voyager, London
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    1. Auflage
Deutsche Erstausgabe Februar 2011
bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München.
    Copyright © 1995 by Colin Greenland
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
    Umschlagmotiv: © HildenDesign, München,
unter Verwendung eines Motivs von Dr Flash / Shutterstock
Redaktion: Werner Bauer
HK·Herstellung: sam
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
     
    eISBN 978-3-641-05375-8
     
    www.blanvalet.de
    www.randomhouse.de