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Sonnenwanderer

Titel: Sonnenwanderer
Autoren: Colin Greenland
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Gefangene im Auge, die einsame Agentin der Seraphim. Niemand konnte ausschließen, dass plötzlich eine Restroutine ihrer Programmierung ansprang und sie zu einer tödlichen Drohne machte.
    Tabea Jute sah immer wieder von Gesicht zu Gesicht. Sie hing in einem Wachtraum, in dem sie alle beim Start ums Leben gekommen waren und das hier das Jenseits war, in dessen Korridoren und Tunneln sie seither herumirrten. Je länger sie unterwegs waren, umso mehr verlorene Seelen tauchten auf, als sei der Pango eine Art Fähre, die sie auflas. Sarah, Dodger, Xtaska, Alice, Angie: Sie waren alle wieder da. Wer war der Nächste? Tante Jasmin? Ma?
    Ihr Blick fiel wieder auf ihren durchscheinenden Passagier. Das dreidimensionale Bild des altmodisch wirkenden Mädchens saß still da, auf oder in oder nur knapp über dem Sitz. Es schien nichts in sich aufzunehmen, saß nur da, als gäbe es ringsherum nichts und niemanden.

    »Alice«, sagte Käpt’n Jute. »Was ist das für ein Ding?«
    »DU MAGST SIE NICHT?«, entgegnete Alice, die jetzt in der internen AV-Anlage nistete. »SIE IST EINE NEBENFUNKTION VON MIR. BILDLICH GESPROCHEN SCHEINT SIE DAS RESULTAT EINER KOMPOSITION AUS MEINEN OBER-UND UNTERTÖNEN ZU SEIN. ICH VERMUTE, SIE SOLLTE EINE MAHNUNG SEIN, KÄPT’N, EINE WARNUNG. EIN RÄTSEL, DAS NUR DU LÖSEN KONNTEST.«
    »Du machst Witze.« Nur vom Zuhören bekam sie schon Zahnweh.
    »SIE HEISST ALICE«, sagte Alice. »SIE IST DAS EBENBILD EINES BILDES ZU EINER GESCHICHTE ÜBER EINEN TRAUM.«
    »Kein Wunder, dass es nur Kauderwelsch war.«
    »Das Gedicht war über Angela«, bemerkte Xtaska. »Mademoiselle Will-Nicht.« Tabea sah ihre Schwester an und versuchte sich an das Gedicht zu erinnern, das auf ihrem privaten Terminal erschienen war; vergebens. Stattdessen erinnerte sie sich an Luna und die Nachricht, die sie damals auf dem Bildschirm gefunden hatten, dass Angie dem Kult der Erweiterten Neurosphäre beigetreten war: »Ich bin berufen worden« ; und ihr Druckanzug hatte im Spind der Luftschleuse gefehlt. Tabea hatte noch in den Ohren, wie Ma und Pa geschrien und geheult hatten.
    »Das einzige Gedicht, das ich kenne, ist Nine Times a Night« , sagte sie.
    Dodger Gillespies Augenlider flatterten, während sie an ihrem Glimmstängel sog. Sie kannte Tabeas Musikgeschmack und wusste, wie gut sie Mundharmonika spielte.
    Sarah Zodiak machte kleine Sauggeräusche mit der Zungenspitze und schüttelte den Kopf. »Wenn du uns bloß gesagt hättest, dass du eine Schwester …«

    »Wieso spricht sie eigentlich nicht?«, fiel Xtaska ihr ins Wort.
    Das schien das Imago zu motivieren. »Ich bin ein Traum«, sagte das Mädchen. »Zumindest war ich einer.« Tabea kannte die kleine, hohe, beinahe penetrante Stimme, genau wie sich Menschenkinder anhören oder Kinder jeder anderen Spezies. Jetzt hörten sie es alle. Der Apotheker muhte ängstlich und verströmte einen schrecklichen Geruch.
    »Ich glaube nämlich«, fuhr das Mädchen fort, »man hat mich seitdem ein paarmal geändert. Aber wo ist der Rote König?«, fragte es mit einem Anflug von Verwirrtheit. »Der Mann im Bett? Er war der Rote König, ja klar. Ich war sein Traum«, sagte es.
    »Die Neurosphäre sei mit dir.« Angela lächelte entzückt. Sie verstand offensichtlich gar nichts, hatte Tabea befunden; ihre eigene Mission am allerwenigsten. Wie das kleine Mädchen war sie Komponente eines elektronischen Schaltkreises - die Komponente, deren Aufgabe es war, die anderen Komponenten zu sammeln und daraus den Rest der Schaltung zu konstruieren. Sie hatte das Ego gestohlen, aber keinen Gebrauch davon gemacht. Es war fast so, als hätte sie sich die Gefangennahme gewünscht.
    Die kleine Erscheinung schien sich zu quälen. »Bitte«, sagte das Mädchen hoffnungslos umherstarrend, »wo ist der Rote König? Hat er schon aufgehört zu träumen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er aufgehört hat, denn hier bin ich doch wieder, ›in voller Lebensgröße‹, obwohl sie bestimmt nicht mich meinen, wenn sie das sagen - und was das ›ungewöhnlich natürlich‹ angeht, o je - ich glaube, ich bin kein bisschen natürlich, nicht mal ein kleines bisschen!«
    Käpt’n Jute knirschte mit den Zähnen. »Muss das sein, Alice?«
    Keine Antwort.

    »Alice?«
    »BITTE WARTEN«, kam die Ego-Stimme aus der AV-Anlage. »BITTE WARTEN. BITTE WARTEN. BITTE …«
    Das ging so weiter, bis Käpt’n Jute »Ausmachen!« brüllte.
    Schnaufend stellte Soi die Anlage auf »stumm«.
    »Anatten?«, fragte
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