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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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werden zu lassen. Er blinzelte in die Schlucht, wo sich das gnadenlose Sonnenlicht auf den Felsen brach, wandte sich dann ab und schloss die Augen ein paar Herzschläge lang, um den Schmerz, den das gleißende Licht verursachte, zu lindern. Während er unruhig im Sattel hin- und herrutschte, spürte er, dass sich sein Unbehagen auf sein Pferd übertrug. Es legte die silbrigen Ohren flach nach hinten, und ein Schauder nach dem anderen jagte über die seidigen Muskeln unter dem glänzenden, schwarzen Fell.
    »Geduld, Akkal«, murmelte Chay. »Er weiß, was er tut.« Jedenfalls hoffte er das. Viel Zeit war vergangen, seit der Drache seine Stellung bezogen hatte und seit Zehava ihm die erste blutende Wunde geschlagen hatte. Die Bewegungen des Prinzen waren jetzt langsamer, die Kurbetten seines großen Schlachtrosses waren ungenau. Es schien Chay, als wären die beiden alten Krieger, Drache und Prinz, einander jetzt ebenbürtig.
    Der Drache brüllte und schnappte nach Zehava, dessen Pferd ihn nur mit Mühe rechtzeitig außer Reichweite brachte. Felsbrocken klapperten in den Höhlen in der Schlucht, und das Wimmern der wartenden Drachenweibchen stieg zum Geheul an. Jede von ihnen war in Sicherheit, war nervös und begierig darauf, mit dem von ihr gewählten Drachen allein zu sein, rief nach ihm und verlangte nach seiner Gegenwart.
    Wieder bebte Akkal, und Chay beruhigte das Tier. Um sich von seiner wachsenden Sorge um Zehava abzulenken, während dieser Klauen und Zähnen auswich, fing Chay an zu rechnen, wie viele Weibchen unbegattet in den Höhlen sterben und wie viele Eier unbefruchtet liegen bleiben würden, wenn dieser Drache hier tot war. Fünfzehn Drachen-Weibchen vielleicht, ein jedes mit etwa zwanzig Eiern, von denen höchstens fünf oder sechs lange genug überleben würden, um fliegen zu können. Diese Zahl, multipliziert mit den neun anderen Drachen, die Zehava in Paarungsjahren getötet hatte, dazu die übrigen Drachen-Weibchen, eine verblüffende Zahl. Und dennoch gab es immer mehr Drachen. Die Wüste spie alle drei Sommer Hunderte von Jungtieren aus, die das Prinzenreich heimsuchten und Ernten und Herden vernichteten. Die wirksamste Art, die Verbreitung der Drachen zu begrenzen, bestand darin, die Alten zu töten, bevor sie sich paarten, denn dadurch waren auch die unbegatteten Drachenweibchen und ihre unbefruchteten Eier verloren. Doch selbst so war es ein endloser Kampf. Und am Ende gab es nur noch mehr Drachen.
    Chaynal seufzte und strich über Akkals Nacken. Zehavas Macht beruhte zum Teil auf seiner Fähigkeit, die Zahl der Drachen gering zu halten. Würde Rohan in der Lage sein, es ebenso zu halten, wenn seine Zeit gekommen war? Der Gedanke stimmte ihn nicht gerade glücklich. So gern er den Bruder seiner Gemahlin hatte, und so sehr er Rohans Fähigkeiten respektierte, so wusste er doch, dass der junge Prinz nicht den Mut hatte, Drachen zu töten. Doch die Kraft im Kampf, die bei diesen Jagden demonstriert wurde, war ein wesentlicher Bestandteil der Macht in der Wüste. Welche andere Basis würde es für seine Herrschaft aber geben können als die militärische Überlegenheit?
    Chays eigene Familie hatte den einzigen sicheren Hafen des Wüstenreiches durch Generationen bewacht, und ihr Ansehen gründete sich fest auf dem Handel, den sie trieben und beschützten. Er war ehrlich genug – und verfügte über ausreichenden Sinn für Humor –, um sich einzugestehen, dass die ursprüngliche Macht seiner Vorfahren kühner Piraterie entsprungen war; das Geld, mit dem Burg Radzyn errichtet worden war, entstammte nicht legitim eingetriebenen Hafengebühren. Doch in der jetzigen zivilisierten Zeit suchten die schnellen Schiffe mit dem rot-weißen Banner Radzyns nicht länger die Kleinen Inseln heim oder versteckten sich in Höhlen, um auf reiche Händler zu warten. Heutzutage patrouillierten seine Schiffe auf den Meeren, um sie sicher zu halten. Doch Krieg und Diebstahl blieben in seiner Familie erhalten, sagte er sich lächelnd. Mit großem Genuss hatte er unter Zehavas Kommando in der Schlacht gekämpft, und alle drei Jahre amüsierte er sich auf dem Rialla mit legaler Räuberei, dann nämlich, wenn er seine Pferde verkaufte. Die Herausforderung in einer Schlacht und das Hereinlegen seiner Handelspartner: Beides waren ausgezeichnete Grundlagen der Macht. Rohan hatte sich zwar auch als fähiger Krieger erwiesen, als er an jenem denkwürdigen Tag gegen die Merida gekämpft hatte – wenngleich seine Eltern einen
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