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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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verdrehen konnte, seine Träume, die durch sie zerstört werden mochten.
    Und doch hätte er niemals das Wissen darüber aufgegeben, was er war. Er hatte sich selbst gesehen, hatte all die Dinge erkannt, die er gefürchtet hatte, die das Leben bedrohten, das er führen wollte – und er hatte keine Angst mehr vor ihnen. Das Einzige, was er fürchtete, war Macht. Er hatte sie in die Hand genommen und hatte sichergestellt, dass alle seine Autorität akzeptierten, und doch wusste er, dass sie immer noch zu seinem Feind werden konnte, einem Feind, weit tödlicher als der Barbar in ihm. Aber für seinen Sohn wollte er es wagen, denn er wusste, dass Pols Kampf mit seiner Macht als Prinz wie auch als Lichtläufer noch weit schrecklicher werden würde.
    Lange Zeit betrachtete Rohan stumm seine Gemahlin und seinen Sohn und fragte sich, wie es dem Kind gelungen war, ihn so schnell für sich zu gewinnen. Nach seiner Rückkehr nach Stronghold hatte es harte Zeiten gegeben, Augenblicke, in denen er Sioned absichtlich verletzt hatte, in denen er versucht hatte, seine eigene Pein, sein eigenes schlechtes Gewissen zu lindern, indem er ihren Schmerz noch vergrößerte; aber auch Zeiten, da sie ihn aus demselben Grund angegriffen hatte. Aber immer war da das Kind gewesen, und in vielerlei Hinsicht hatten sie über das Kind wieder zu sich zurückgefunden. Pol hatte eine Art, seinen Vater mit großen, blaugrünen Augen anzublicken, als wollte er in seine Seele sehen. Rohan hatte diesen Sohn nicht anerkennen wollen, der nicht von Sioneds Blut war, aber Pol hatte ihn mit diesen Augen gefordert. Es war die Liebe zu ihrem Kind, die Rohan und Sioned in diesen ersten schweren Tagen nach seiner Rückkehr verband – Liebe, die das Feuer zwischen ihnen zu neuem Leben erweckt hatte.
    Rohan streichelte den flaumigen Kopf seines Sohnes und lächelte, als sich das Kind zufrieden an Sioneds Brust schmiegte. Sie mochte glauben, dass sie das, was sie getan hatten, für sich selbst getan hatten, aber Rohan wusste, es war Pols wegen geschehen. Lange Zeit hatte er etwas vergessen gehabt, was er immer gewusst hatte, etwas, das sich bei Roelstras Spötteleien inmitten des Sternenfeuers wieder in ihm geregt hatte. Er hatte vermutet, dass Sioneds Unfruchtbarkeit ihn alles hatte absichtlich vergessen lassen; er hatte es nicht gewagt, zu viel an Kinder zu denken, nachdem die Hoffnung so gering war. Aber als er unter dieser Kuppel aus silbrigem Licht auf den Knien lag, hatte er wieder gewusst, dass alles, was er geträumt und geplant und getan hatte, für sein Kind geschehen war. Pol, der so unschuldig war an der Vergangenheit, würde die beste Zukunft bekommen, die er und Sioned ihm geben konnten. Ein Leben bedeutete nur wenig, wenn die Welt, die zu formen es die Macht hatte, nicht besser war als die, in die es hineingeboren worden war.
    »Ich glaube, unser Kleiner ist für den Augenblick fertig«, murmelte Sioned. »Möchtest du ihn halten?«
    Rohan nahm Pol in die Arme. Schläfrige Augen blinzelten zu ihm empor, und das Kind stieß einen wenig eleganten Rülpser aus. Rohan grinste. »Er scheint von all diesen Ehrungen nicht sonderlich beeindruckt.«
    Sioned kicherte und band die Spitzen ihres Nachtkleides. »Die anderen loben und verneigen sich genug. Der letzte Ort, an dem du so etwas finden wirst, ist bei deiner Familie.«
    »Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass diese Tatsache eine Erleichterung ist?«
    »Natürlich – und ich kann es kaum abwarten, diese ganzen Hochwohlgeborenen endlich abreisen zu sehen, damit wir wieder ganz wir selbst sein können.«
    »Sie werden bald fort sein. Aber es wird nicht mehr so sein wie früher, Sioned«, warnte er liebevoll.
    »Ich weiß. Zu viel hat sich verändert – vor allem wir.« Sie strich ihm das Haar aus der Stirn, dort, wo der Silberreif seine Spuren hinterlassen hatte. »Ich verstehe, was geschehen ist, aber verstehen heißt nicht vergeben.«
    »Ich kann nicht sagen, ob es mir wirklich wichtig ist, dass Andrade uns verzeiht, oder nicht.«
    »Das geht mir ebenso«, gab Sioned zu. »Ich liebe dich, und das ist stärker als irgendein Faradhi -Eid, den ich je geleistet habe. Anfangs hat es mich erschreckt. Das tut es immer noch. Aber ich glaube, derjenige, der verzeihen muss, ist Pol.«
    Sie brachten das Kind im Nebenzimmer zu Bett, wo das Kindermädchen im sanften Lampenlicht auf sie wartete. Die geschnitzte Holzwiege war ein Geschenk von Chay und Tobin zu Neujahr gewesen. Feine blassgrüne Seide war
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