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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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an Weiblichkeit gefehlt hätte, überlegte er und warf Chaynal erneut einen Blick zu. Nur eine vollkommene Frau hatte den feurigen jungen Herrn von Burg Radzyn einfangen und halten können. Nach sechs Jahren Ehe und der Geburt von Zwillingssöhnen waren die Prinzessin und ihr Gemahl noch immer so verliebt wie am ersten Tag. Ein Jammer, dass Rohan bislang noch kein Mädchen gefunden hatte, das auch ihm das Rückgrat und seine Männlichkeit gestärkt hätte. Es gab nichts Besseres als den Wunsch, ein hübsches Mädchen zu beeindrucken, um aus einem Knaben einen Mann zu machen.
    Zehavas Vorhersage erwies sich als richtig. Der Drache hatte den Aussichtspunkt an der Canyon-Öffnung gewählt, um sich auf die Lauer zu legen. Die Jäger zügelten ihre Pferde eine volle Länge entfernt und bewunderten das Tier: Es war so dunkelgolden wie der Sand, der es hervorgebracht hatte, mit einer Flügelspanne, die die Höhe dreier Männer übertraf. Das böse Funkeln seiner Augen konnten sie selbst auf diese Entfernung noch fühlen.
    »Ein wahrer Edler unter seinesgleichen«, murmelte Chay bewundernd. »Habt acht, mein Prinz.«
    Zehava nahm die Worte, wie sie gemeint waren – nicht als Warnung, dass er den Kampf verlieren könnte, sondern als Mahnung, sich dabei nicht zu verletzen. Wenn er mit mehr als ein paar Kratzern heimkehrte, würde sein Weib abwechselnd seine Wunden pflegen und über seine Ungeschicklichkeit zürnen, dass er sie sich überhaupt zugezogen hatte. Prinzessin Milar war für ihr Temperament ebenso berühmt wie für ihr lichtes Aussehen, das hier in der Wüste so selten war und das sie ihrem Sohn weitergegeben hatte.
    Die zwanzig Reiter schwärmten aus und nahmen die Positionen ein, die bei diesem Spiel vorgeschrieben waren. Zehava ritt allein voran. Der Drache beäugte ihn unheilvoll, und der Prinz lächelte. Ein wahrhaft bösartiges Tier. Der Gestank von Öl hing in der heißen Luft und entwich den Drüsen auf der Unterseite seines langen, stachelbewehrten Schwanzes. Er war bereit, die in ihren Höhlen verborgenen Weibchen zu begatten, und jeder, der ihn von seinem Ziel abhielt, war eines schmerzhaften Todes gewiss.
    »Bist wohl heiß auf sie, was, Teufelsrachen?«, summte Zehava tief in der Kehle. Er ritt in gleichmäßigem Schritt, den Mantel über der Schulter, und verhielt eine halbe Länge vor dem Felsenturm. Gemaserter Sandstein in einem Dutzend Schattierungen von Bernstein bis Granat ragten vor ihm auf wie der Turm der ewigen Flamme in Zehavas Schloss Stronghold. Der Drache krallte sich mit Klauen an den Stein, die so dick waren wie das Handgelenk eines Mannes. Obwohl er heftig mit seinem gold-schwarz gemusterten Schwanz schlug, verlor er nicht das Gleichgewicht. Die beiden Herrscher der Wüste musterten sich abschätzend. Auf den ersten Blick schien es ein lächerlich ungleicher Kampf zu sein: der massige, säbelzahnige Drache gegen einen Mann zu Pferde. Aber Zehava hatte einen Vorteil, der ihn zuvor schon neun Mal aus einer derartigen Begegnung als Sieger hatte hervorgehen lassen, häufiger als jeder andere lebende Mann, und dies hatte ihn zu einem Teil der Familienlegende werden lassen. Zehava verstand Drachen.
    Dieser hier brannte darauf, ein Dutzend oder mehr Weibchen zu begatten, aber er wurde alt. Auf dem dunkelgoldenen Panzer zeigten sich Narben aus zahlreichen Schlachten, und eine Kralle hing als Folge eines früheren Kampfes in einem unnatürlichen Winkel herab. Als er drohend seine riesigen Schwingen entfaltete, als er deren samtige, schwarze Unterseite zeigte, wurden schlecht verheilte Risse ebenso sichtbar wie schiefe Flügelknochen, die nach einem Bruch nicht richtig zusammengewachsen waren. Dies war vielleicht die letzte Paarung des Drachen, und Zehava vermutete, dass das Tier das auch wusste.
    Trotzdem war er sicher in der Lage, dem Prinzen einen guten und langen Kampf zu liefern. Aber Zehava wusste noch mehr über Drachen. Wenn sie auch berühmt waren für ihre Hinterlist, so konnten sie doch immer nur an eine Sache denken. Dieser hier wollte sich paaren. Deshalb würde er direkt angreifen und offen in den Kampf gehen, ohne die Tricks, die ein Drache anwendete, wenn die Paarungszeit für die nächsten drei Jahre vorüber war. Er hatte den Duft seiner eigenen Sexualität bereits seit Tagen während der Vorspiele eingeatmet – während des Sandtanzes und des Klippentanzes, die seine Weibchen angelockt hatten. Jetzt war sein Verstand betäubt, und auch sein Kampfgeschick würde geschmälert
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