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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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Fürst ist heuer gerade fünfundvierzig Jahre alt, Milar. Soll ich dir eine Vision heraufbeschwören?«
    Die Prinzessin riss die Augen auf. »Nein! Andrade, das darfst du nicht! Nicht hier!«
    »Nur mit Worten, Schwester. Sagen wir, Rohan ehelicht dieses Mädchen, welches auch immer es sein mag. Ich kann sie nie auseinanderhalten. Sagen wir, sie bekommen innerhalb von zwei Jahren ein Kind. Roelstra wird dann siebenundvierzig sein. Nehmen wir weiter an, er lebt bis zum Alter von achtzig. Das ist nicht unwahrscheinlich. Sein Großvater war dreiundneunzig, als er starb …«
    »Und sein Vater kaum achtundzwanzig.«
    »Klägliches Alter. Ich hatte immer so meine Vermutungen, was diese Flasche schlechten Branntwein anging, der seinen Tod verursacht haben soll. Aber wo war ich stehengeblieben? Ach ja, Zehava wird dieses Jahr sechzig, und er entstammt keinem langlebigen Clan. Ach hör auf, sieh mich nicht so traurig an, Milar. Wahrscheinlich stellt er mich rein aus Trotz als Lügnerin hin und wird einhundertundfünfunddreißig! Aber nehmen wir einmal an, etwas würde ihm zustoßen, ehe seine Enkel erwachsen sind. Rohan wird zum Prinzen. Nehmen wir weiterhin an, dass Rohan etwas passiert – und glaube mir, meine Liebe, wenn seine Söhne erst die üblichen Kinderkrankheiten hinter sich haben, wird Rohan überflüssig. Damit bleiben uns die verwitwete Prinzessin, ihre Söhne von zehn oder zwölf Wintern – und Roelstra, gesund und munter und noch nicht einmal so alt, wie Zehava es jetzt schon ist.«
    »Eine lächerliche Vorstellung!«, rief Milar aus, aber Schatten verdunkelten ihren Blick.
    »Wenn du meinst. Noch eine Beschwörung mit Worten. Rohan wird tatsächlich überflüssig, wenn er mit diesem Mädchen ein oder zwei Söhne gezeugt hat. Ist er aus dem Weg geräumt und Zehava der Vormund der Knaben, bis sie volljährig sind, dann kann Roelstra deinen Gatten im Bette sterben lassen und immer noch tun, was er will, sobald seine Enkel geerbt haben.«
    Lady Andrade genehmigte sich noch ein paar Trauben und wartete ab, dass ihre Zwillingsschwester diese Zukunftsaussichten verarbeitete. Eigentlich hatte Andrade keine Ahnung, warum sie sich mit ihrer hübschen, aber dummen Schwester abmühte. Milar hatte alles an gutem Aussehen geerbt, was in der Familie vorkam, so dass sich Andrade mit Verstand und Energie durchschlagen musste. Was bei Milar zart und golden war, war rötlich bei Andrade; das Temperament, für das beide Frauen bekannt waren, war ein wütendes Aufblitzen bei Milar, aber sorgfältig kalkuliert bei Andrade. Milar war vollkommen zufrieden damit, die Ehefrau eines recht beachtenswerten Mannes zu sein (insgeheim konnte Andrade durchaus zugestehen, dass Zehava Tugenden besaß), die Mutter seiner Kinder und Herrin seiner Festung. Andrade wäre mit so einem Leben niemals zufrieden gewesen. Sie hätte möglicherweise einen Mann heiraten können, durch den sie über weite Gebiete des Kontinents geherrscht hätte, aber als Herrin der Schule der Göttin regierte sie indirekt über ein größeres Gebiet als selbst Roelstra. Ihre Faradhi’im , gewöhnlich Lichtläufer genannt, waren überall, und durch sie beeinflusste oder besser gesagt, kontrollierte sie jeden Prinzen und Herrn zwischen dem Meer der Dunkelheit und dem Meer der Morgenröte.
    Sie sagte sich, dass sie sich Rohans wegen mit Milar abgab. Er schlug in seinem Charakter weder seinem Vater noch seiner Mutter nach – aber er ähnelte auch Andrade nicht, so dass sie in ihm auch kein männliches Abbild ihrer selbst sehen konnte. Er war einzigartig, und dafür schätzte sie ihn. Milar liebte den Knaben abgöttisch, und Zehava hatte seinen Sohn ebenso gern, wenn Rohan ihn auch verwirrte. Einzig Andrade verstand ihn und hatte einen Blick darauf erhascht, was aus ihm werden konnte.
    »Ich verstehe dich ja, Andri«, sagte Milar zögernd. »Ich wünschte, du hättest das alles gleich klar und deutlich erklärt. Wir müssen das Angebot des Prinzen tatsächlich ablehnen, sofern es wirklich gemacht wird.«
    Lady Andrade seufzte. »Und wie?«, fragte sie spitz und überlegte, ob ihre Schwester tatsächlich so dumm war, wie sie sich manchmal verhielt.
    Das Gesicht der Prinzessin, das nach Jahren des rauen Lebens in der Wüste kaum Falten zeigte, verzog sich vor Schreck. »Eine offene Ablehnung wäre eine schreckliche Beleidigung! Roelstra würde sich auf uns stürzen wie ein Drache auf einen Jährling!« Einen Augenblick lang grübelte sie ängstlich, dann lächelte sie.
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