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Sommersturm

Sommersturm

Titel: Sommersturm
Autoren: Olaf Buettner
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aufgetaucht ist in unserem
Leben. Wir hatten die Geschichte fast schon vergessen.“
     „Kann
man sowas denn vergessen?“, fragte Henry hinterhältig.
    „Natürlich
nicht“, sagte Kurt und guckte traurig in seine leere Tasse. Ich bestellte drei
neue Cappuccino. „So was vergisst man nie wirklich. Manchmal glaubt man, dass
man es vergessen hat, aber dann ...“
    „...
holt es einen wieder ein?“, ergänzte ich.
    „Genau“,
meinte Kurt. „Genau so ist es.“ Dann fuhr er urplötzlich Henry an: „Warum
machst du so was? Was sollen diese Anrufe?“ Er klang verzweifelt. Der Kellner
brachte die Getränke und drehte die Musik leiser. Er wurde neugierig. Henry
guckte betreten.
    „Er
hat es gemacht“, antwortete ich für ihn, „weil ich ihn darum gebeten habe.“
Dann begann ich aufs Geratewohl: „Damals also ...“
    Ich
hatte Glück, denn Kurt stieg drauf ein und vollendete meinen Satz: „... war
eine schlimme Zeit. Betty war erst sechszehn.“
    Der
Kellner drückte sich immer auffälliger in der Nähe unseres Tisches herum. Den
Nachbartisch wischte er jetzt schon zum dritten Mal ab.
    „Natürlich
machte sie mir schöne Augen, du kennst sie ja, und sie war damals eher
noch...“, er suchte nach dem richtigen Wort, „... direkter als heute.
Natürlich hätte ich der Überlegene sein müssen, keine Frage, ich war längst
erwachsen. Ich hätte erkennen müssen, dass es bei ihr nur ein Spiel war. Sie
war ja fast noch ein Kind.“ 
    Ganz
plötzlich wurde mir stockschlecht. Ich sprang auf und lief hinaus auf die
Straße. Henry folgte mir, Kurt blieb sitzen. Die frische Luft tat gut und schon
nach ein paar Schritten ging es mir besser.
    „Was
ist denn nun passiert damals?“, fragte Henry, als wir um die nächste Ecke
waren. Ich fand, dass er manchmal wirklich saublöd fragen konnte.
     
    „Martha
hat völlig recht!“, sagte Betty und ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
Hatte ich aber. „Ich kann dir nicht das geben, was du brauchst.“
    „Aber
was denn?“, fragte ich verwirrt.
    „Beständigkeit“,
jammerte Betty. „Zuverlässigkeit und ein bisschen Disziplin. Du brauchst
jemand, der für sich da ist, der dir Rückhalt gibt, wenn’s drauf ankommt.“
    „Was
redest du da eigentlich?“
    „Ich
hab aber mit mir selbst genug zu tun!“ Betty war nicht zu bremsen. „Es fällt
mir schwer genug, mein eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen. Ich kann nicht
noch für deins die Verantwortung mit übernehmen.“
    „Das
verlangt auch keiner von dir“, behauptete ich.
    „Ich
selbst verlange das von mir“, sagte sie. „Und ich hab es auch versucht, aber
ich krieg das nicht hin.“
    Ich
begriff nicht, was plötzlich mit ihr los war. Wo war ihre Dynamik, ihre Power?
Wo ihr Optimismus und ihre Stärke? Plötzlich kam sie mir vor wie ein Blatt im
Wind.
    Ich
hatte auf dieser Unterredung bestanden. Kullik hatte, auch ohne Marthas
Zustimmung, Betty zu dem Gespräch im Jugendamt mit eingeladen und der Termin
rückte immer näher.
    Wir
brauchten eine Strategie. Das Ziel war klar: Ich wollte bei Betty bleiben. Von
wegen Disziplin und Beständigkeit und dem ganzen Mist. Ich pfiff auf den ganzen
Quatsch. Betty war weit wichtiger für mich als all diese hohlen Worte.
    Sie
hatte alles getan, um sich diese Vorbesprechung an unserem Küchentisch zu
ersparen.
    „Die
meisten Vorwürfe stimmen doch“, sagte sie. „Schließlich hast du diesen
Jungen zusammengeschlagen. Und du hast auch Roger ein Messer in die Reifen gestochen.“
    „Für
beides gab es gute Gründe“, sagte ich kleinlaut.
    „Es
gibt nie gute Gründe für so was“, meinte Betty. Ihr Blick tat weh. 
    „Was
hattest du denn gegen Roger?“, fragte sie. „War er mir zu nahe?“
    Ohne
sie anzusehen, nickte ich.
    „Siehst
du“, sagte sie leise. „Und das ist nicht gut. Du lebst hier nicht mit mir als
mein Mann.“
    „Ach
nee!“, meinte ich lapidar und meine Blicke wanderten zum Fenster, hinter dem
die Bäume sich im Wind neigten.
    „Und
dieser Junge, was hat er dir getan, dass du ihn krankenhausreif schlagen
musstest? Sag’s mir, ich versteh es nicht.“
    Ich
schluckte und schwieg.
    „Und
ein moralisches Vorbild bin ich dir auch nicht“, lamentierte sie weiter.
    „ Moralisches
Vorbild ?“ Ich lachte hämisch. „Was soll das denn sein?“
    „Deine
Mutter“, sagte Betty, „war ein moralisches Vorbild. Sie war deinem Vater immer
treu, hat zu ihm gehalten und nicht Männer gesammelt wie andere Briefmarken.“
    „Und
mein Vater?“, fragte
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