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Sommersturm

Sommersturm

Titel: Sommersturm
Autoren: Olaf Buettner
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ausgesprochen hatten.
    Tatsächlich,
sie wollte ihr Haus aufgeben, ihren Job und alles hier und sich verziehen in
einen fernen Teil der Welt! Wo sie keiner kannte und wo sie, wie sie sagte,
ganz neu anfangen konnte. Mit Roger in Amerika ein neues Leben beginnen. Da
würden dann auch alle seinen Namen richtig aussprechen.
    Ich
hätte ihr einen mindestens dreistündigen Vortrag halten können, warum das alles
unmöglich war, und ich war auch kurz davor, es zu tun, aber schließlich gab ich
keinen Pieps von mir. Mein Hals war wie zugeklebt und ich kriegte keinen Mucks
heraus.
    Eine
Adresse hatte sie noch nicht, aber sie wollte nach New York. Inzwischen denke
ich manchmal, dass sie vielleicht doch eine hatte und sie mir nur nicht geben
wollte. Am nächsten Tag wollte sie los, eigentlich hat man dann eine Adresse,
aber ich bohrte nicht nach. Wenn sie sich entschlossen hatte, spurlos zu
verschwinden, würde sie es sowieso machen, egal, was ich davon hielt. So gut
kannte ich Betty, da konnte mir keiner was vormachen.
    Auf
jeden Fall ist sie jetzt seit drei Monaten über alle Berge – seit dem Tag, an
dem ich angefangen habe, meine Geschichte aufzuschreiben -  und seit
dieser Zeit hab ich nichts mehr von ihr gehört. Manchmal bin ich mir sicher,
dass sich das auch in drei Jahren noch nicht geändert hat, aber bis dahin lebe
ich natürlich sowieso nicht mehr hier. In einem Jahr werde ich mein Abi machen
und dann irgendwas studieren, mal sehen.
    Ich
denke jeden Tag an Betty. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das
irgendwann aufhört. Manchmal, wenn es still ist, höre ich sogar ihr Lachen oder
den Klang ihrer Stimme, wenn sie erzählt hat. Die Erinnerung an unsere Zeit und
an unsere Nacht lebt genau wie ich lebe. Betty war meine erste Frau.
    Manchmal 
frage ich mich, ob sie auch ab und zu an mich denkt. Aber schließlich muss sie
sich in New York, oder wo immer sie am Ende gelandet ist, ein ganz neues Leben
aufbauen. Und da vergisst man es vielleicht manchmal, sich mit Vergangenem zu
beschäftigen. Ich wüsste zu gerne, wo sie ist und was sie so treibt und ob wir
uns vielleicht doch noch mal wiedersehen.
    Aber
ich bin auch ganz gut beschäftigt mit meinem neuen Leben. Und jetzt, wo ich
langsam auf das Ende dieser Aufzeichnungen zusteuere, habe ich den Kopf vielleicht
bald wirklich frei für einen Neuanfang.
    Gleich
bin ich mit Luisa verabredet. Noch vor einer Stunde war mir das gar nicht
besonders wichtig, aber auf einmal merke ich, dass es anfängt, wichtig zu
werden. Gerade kommt sie ins Zimmer, ganz leise, weil ich noch schreibe.
    „Hallo
Julian“, sagt sie und lächelt mich an. Wie sie da so steht, fällt mir wieder
mal auf, wie ähnlich sie Betty sieht.
    „Hallo
Luisa“, werde ich gleich sagen. Da habe ich plötzlich Lust, sie zu fragen, ob
wir heute nach Atlantis gehen wollen.
    Ich
schaue rüber zu Luisa, lächle zurück. Und dann sehe ich in ihren Augen, dass
ich es gar nicht auszusprechen brauche. Wir beide wissen es voneinander. Wir
brauchen keine Worte, um uns das zu sagen.        
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