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SCHWELLE

SCHWELLE

Titel: SCHWELLE
Autoren: Vivi ANE
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SCHWELLE
    „Dieser Selbstmord war wirklich das Beste, was ich je getan habe! Ehrlich!“
    Wenn ich in diesem Moment nicht fest auf einer Bank gesessen hätte, wäre ich bei diesen Worten bestimmt umgefallen. Ich war richtiggehend entsetzt und fassungslos.
    „Wie bitte?!“
    „So, w…wie ich es eben gesagt habe. Es war die beste Entscheidung meines Lebens!“
    Mir geriet etwas in den falschen Hals und ich musste deswegen so kräftig husten, dass mir Wasser in die Augen schoss. Da sich die Entwicklung zum Bellen androhte, stand ich auf und entschuldigte mich von der Tischgesellschaft um Richtung Toilette zu gehen. Immer noch hustanfallgeplagt stand ich kurze Zeit später mit den Händen an einem der Waschbecken abgestützt und sah mein verdutztes Spiegelbild an.
    „Hat er das jetzt wirklich so gesagt?! Ein Selbstmord, seine beste Entscheidung?!“, begann ich ein Selbstgespräch, das gleich darauf durch eine Dame, die aus einer der Toilettenkabinen kam, hüstelnd unterbrochen wurde. „Nicht gut, gar nicht gut. Du kommst rüber, wie eine Verrückte“, dachte ich nur bei mir und lächelte die Frau mit dem unverständigen Gesichtsausdruck zum Abschied freundlich an.
    Jetzt war ich mit mir und meinem Spiegelbild alleine.
    „Komm doch mit und feier mit uns. Das lenkt dich bestimmt ab! Du musst nicht so oft alleine sein“, hatten sie zu mir gesagt. „Hab Spaß mit den Lebenden. Du bekommst ganz andere Impulse und niemand wird dich mit so einem düsteren Thema zutexten, denn dafür ist der Rahmen zu groß.“ – Ha!
    Mit einer Handvoll Wasser machte ich mir Mund und Nase sauber und trocknete mich ab.
    „Na dann, zurück zum Spaß mit den Lebenden!“, dachte ich mein Spiegelbild herausfordernd an.
    Ich setzte mich auf meinen Platz zurück, in der Hoffnung auf die angekündigte, lockere Vergnügung.
    „Ich hab dich geschockt, oder?!“
    „Ist schon o. k.“
    „Sollen wir dir was vom Buffet mitbringen? Wir wollten gerade einen Nachschlag holen. Der Salat war so lecker.“, fragte meine Banknachbarin.
    „Nein danke. Ich bin schon proppenvoll.“
    „Wir kommen gleich wieder. Kannst du uns den Tisch freihalten, sonst haben wir nachher keinen Platz mehr. Ja?!“
    So und jetzt wurde ich also auch noch alleine gelassen mit ihm. Oje, ich alleine mit dem Selbstmörder. Das konnte ja nur heiter werden. Von einer Pobacke auf die andere rutschend sah ich die Tischbelegschaft zielstrebig auf die reich bestückte Salatauswahl zusteuern. Erst jetzt merkte ich, dass mein rechtes Bein nervös wippte und ich rief mich innerlich zur Ruhe, indem ich mir über meine Oberschenkel strich. Schließlich siegte meine anerzogene Höflichkeit und ich richtete meinen Blick erst auf die Tischplatte und dann auf mein Gegenüber.
    „Du bist doch geschockt.“
    „Hör zu, ich denke nicht, dass man über so ein Thema Späße macht. Ich kenne wirklich noch keinen Selbstmörder, der diesen Schritt nicht bereut hätte. Das ist alles“, platzte es aus mir heraus, wie es des Öfteren passiert, wenn mir Dinge unangenehm sind, oder ich in einem Thema komplett anderer Meinung bin.
    „So, du hast da wohl Erfahrung?! Das hab ich gleich gespürt. Schon bevor du es ausgesprochen hattest. Aber ehrlich, ich bereue es eben nicht, ganz im Gegenteil.“
    An mir herunterblickend um zu kontrollieren ob ich denn, entgegen meiner Spiegelbilderinnerung, ganz in Schwarz gehüllt sei, ärgerte ich mich über mich selber. Wieso musste ich inmitten von lachenden, ausgelassen feiernden Menschen auf einem Sommergrillfest, solche Themen anziehen und auch noch Öl ins Feuer gießen?!
    „Natürlich war es für meine Familie und Freunde schlimm. Auch für den Zugführer und die Leute im Zug, den ich „anhalten“ wollte, war es wahrscheinlich nicht schön. Aber ich kann es nicht ganz ehrlich bereuen. So wie ich jetzt bin, ist so vieles leichter. Ich bin einfach glücklich!“
    Dieses breite Grinsen und das Strahlen verdeutlichen beeindruckend, wie sicher er sich seiner Entscheidung war.
    „Davor, ich meine, bevor ich mich auf die Schwelle gestellt habe, war ich depressiv, ich fühlte mich ständig unglücklich und überfordert. Ich war mir selber nie gut genug, weder in der Schule, noch in der Lehre, noch in meiner Clique. Meine Eltern und ich haben uns ständig gestritten. So oft wegen unwichtigen Sachen. Als elender Versager habe ich mich gefühlt. Und irgendwann war ich mir sicher, dass ich nur noch sterben wollte. Da hab ich mir ein Bahngleis gesucht, dessen
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