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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist
Autoren: Agatha Christie
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gelähmt. Einen Moment lang blickte, während sie sprach, etwas aus ihren Augen. Es war im Nu verschwunden – aber er erkannte es wieder. Es war das Etwas, das aus dem Haus geblickt hatte.
    Sie bemerkte, wie er unwillkürlich zurückwich.
    »Sehen Sie?«, flüsterte sie. »Sie sehen – aber ich wünschte, Maisie hätte Ihnen nichts davon gesagt. Denn es nimmt Ihnen alles.«
    »Alles?«
    »Ja. Nicht einmal der Traum wird Ihnen bleiben. Denn jetzt werden Sie es nie mehr wagen, von dem Haus zu träumen.«
     
    Die westafrikanische Sonne brannte herab, und es war sehr heiß.
    John Segrave begann wieder zu stöhnen.
    »Ich kann es nicht finden. Ich kann es nicht finden.«
    Der kleine englische Arzt mit dem roten Kopf und dem extrem ausgeprägten Unterkiefer blickte auf die finstere und einschüchternde Art, die er sich zu eigen gemacht hatte, auf seinen Patienten hinab.
    »Das sagt er ständig. Was meint er damit?«
    »Ich glaube, er spricht von einem Haus, Monsieur.« Die Barmherzige Schwester von der römisch-katholischen Missionsstation hatte eine sanfte Stimme und sprach mit freundlicher Reserviertheit, während sie ebenfalls auf den schwerkranken Mann hinunter sah.
    »Von einem Haus? Tja, das muss er sich aus dem Kopf schlagen, sonst bringen wir ihn nie durch. Es quält ihn. Segrave! Segrave!«
    Die umherschweifenden Gedanken konzentrierten sich. Die Augen ruhten wiedererkennend auf dem Gesicht des Arztes.
    »Hören Sie, Sie werden durchkommen. Ich werde Sie durchbringen. Aber Sie müssen aufhören, an dieses Haus zu denken. Es läuft Ihnen ja nicht weg. Also plagen Sie sich nicht damit ab, ausgerechnet jetzt danach zu suchen.«
    »In Ordnung.« Der Patient schien fügsam zu sein. »Wie sollte es auch weglaufen, wenn es gar nie da gewesen ist.«
    »So ist es recht!« Der Arzt lachte munter. »Jetzt werden Sie im Nu wieder auf den Beinen sein.« Und mit geräuschvoller Grobheit, wie es seine Art war, verabschiedete er sich.
    Segrave lag gedankenversunken da. Das Fieber war vorübergehend zurückgegangen, und er konnte absolut klar denken. Er musste dieses Haus finden!
    Zehn Jahre lang hatte er sich davor gefürchtet, es zu finden – der Gedanke, dass er unvermutet darauf stoßen könnte, war seine größte Angst gewesen. Und dann, als seine Befürchtungen sich zerstreut hatten und er sich in Sicherheit wähnte, hatte es eines Tages ihn gefunden. Er erinnerte sich noch genau an die panische Angst, die er zunächst empfand, und an die jähe, die unsagbare Erleichterung, die darauf folgte. Denn das Haus war leer!
    Völlig leer und unsagbar friedlich. Es war noch genau so wie vor zehn Jahren. Er hatte nichts vergessen. Ein großer schwarzer Möbelwagen entfernte sich langsam von dem Haus. Bestimmt der letzte Mieter, der samt seiner Habe auszog. Er ging zu den Männern, die den Möbelwagen fuhren, und sprach mit ihnen. Der Möbelwagen hatte etwas Unheimliches, er war so furchtbar schwarz. Auch die Pferde waren schwarz, hatten wehende Mähnen und Schweife, und die Männer trugen allesamt schwarze Kleidung und Handschuhe. Der Anblick erinnerte ihn an etwas anderes, an etwas, auf das er sich nicht besinnen konnte.
    Ja, er hatte absolut Recht gehabt. Der letzte Bewohner zog soeben aus, da sein Mietvertrag abgelaufen war. Das Haus sollte einstweilen leerstehen, bis der Besitzer aus dem Ausland zurückkehrte.
    Beim Erwachen war er noch ganz von der friedlichen Schönheit des leeren Hauses erfüllt gewesen.
    Einen Monat später hatte er einen Brief von Maisie erhalten, sie schrieb ihm beharrlich einmal im Monat. Darin teilte sie ihm mit, dass Allegra Kerr in dem gleichen Heim gestorben war wie ihre Mutter und dass das doch schrecklich traurig sei. Aber natürlich auch eine gnädige Erlösung.
    Es war wirklich sonderbar gewesen. Diese Nachricht, so kurz nach seinem Traum. Er verstand das Ganze nicht recht. Aber sonderbar war es schon.
    Und das Schlimmste daran war, dass er das Haus seither nie mehr hatte finden können. Irgendwie hatte er den Weg dorthin vergessen.
    Das Fieber begann sich seiner abermals zu bemächtigen. Er warf sich ruhelos hin und her. Natürlich, das hatte er ja völlig vergessen, das Haus lag auf einer Anhöhe! Er musste hinaufsteigen, um zu ihm zu gelangen. Aber es war so mühsam, die Klippen hinaufzuklettern, und so heiß. Höher, höher, höher! Oh, er war abgerutscht. Nun musste er wieder ganz unten beginnen. Höher, höher, höher! Tage vergingen, Wochen – er war nicht sicher, ob nicht sogar Jahre
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