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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist
Autoren: Agatha Christie
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und ich unseren ganz persönlichen Extravaganzen frönen werden. Selbst wenn wir dabei eine Genialität entfalten sollten, die an Wahnsinn grenzt.«
    Mit einer heftigen, unbedachten Bewegung wischte die Hand der jungen Frau ein Weinglas vom Tisch. Man hörte das Klirren von zerbrochenem Glas. Maisie und ihr Vater unterbrachen ihr Gespräch.
    »Es tut mir schrecklich leid, Mr Wetterman. Ich scheine mit Gläsern um mich zu werfen.«
    »Meine liebe Allegra, das macht doch nichts, das macht überhaupt nichts.«
    John Segrave sagte leise:
    »Scherben bringen Unglück. Ich wünschte, es wäre nicht passiert.«
    »Keine Sorge. Wie heißt es doch? ›Nicht bringst du Unheil dahin, wo Unheil im Hause wohnt.‹«
    Sie wandte sich erneut Wetterman zu. John, der das Gespräch mit Maisie wieder aufnahm, versuchte das Zitat unterzubringen. Schließlich hatte er es. Es waren die Worte, die Sieglinde in der »Walküre« benutzt, als Sigmund anbietet, das Haus zu verlassen.
    Er dachte: »Meinte sie damit –?«
    Doch Maisie fragte ihn soeben nach seiner Meinung über die neueste Revue. Schon bald hatte er gestanden, dass er Musik liebte.
    »Dann«, sagte Maisie, »muss Allegra nach dem Abendessen für uns spielen.«
    Man ging hinauf in den Salon. Wetterman hielt dies insgeheim für eine barbarische Sitte. Er mochte den gewichtigen Ernst des Herumreichens des Weines, der angebotenen Zigarren. Aber vielleicht war es in diesem Fall besser so. Er hatte keine Ahnung, was um alles in der Welt er mit dem jungen Segrave reden sollte. Maisie hatte wirklich unmögliche Einfälle. Dabei sah der Bursche nicht einmal sonderlich gut aus, und unterhaltsam war er auch nicht. Wetterman war froh, als Maisie Allegra Kerr zu spielen bat. Auf diese Weise würden sie den Abend schneller hinter sich bringen. Der junge Spund spielte ja nicht einmal Bridge.
    Allegra spielte gut, wenn auch ohne die Sicherheit der Berufskünstlerin. Sie spielte moderne Musik, Debussy und Strauss, etwas Skrjabin. Dann begann sie unversehens mit dem ersten Satz von Beethovens Pathétique, diesem Ausdruck eines Grams, der unendlich ist, eines Kummers, endlos und unermesslich wie die Ewigkeit, den aber vom Anfang bis zum Ende ein Geist durchdringt, der sich nicht geschlagen gibt. Mit der Feierlichkeit einer unaufhörlichen Qual bewegt er sich im Takt des Eroberers auf seinen unabänderlichen Untergang zu.
    Gegen Ende hin wurde sie unsicher, ihre Finger schlugen einen Missklang an, und sie brach abrupt ab. Sie blickte hinüber zu Maisie und lachte spöttisch.
    »Da siehst du es«, sagte sie. »Sie lassen mich einfach nicht.«
    Dann, ohne eine Antwort auf ihre etwas rätselhafte Bemerkung abzuwarten, stürzte sie sich in eine seltsame, aufwühlende Melodie, ein Stück voll unheimlicher Harmonien und in einem sonderbaren gemessenen Rhythmus, das nichts glich, was Segrave je gehört hatte. Es war schwerelos wie der Flug eines Vogels, schwebte, verharrte – um dann plötzlich, ohne jede Vorwarnung, in ein schrilles Durcheinander von Tönen umzuschlagen. Allegra erhob sich lachend vom Klavier.
    Trotz ihres Lachens wirkte sie verstört und fast verängstigt. Sie nahm neben Maisie Platz, und John hörte, wie diese mit leiser Stimme zu ihr sagte:
    »Du solltest das nicht. Du solltest das wirklich nicht tun.«
    »Wie hieß das letzte Stück?«, erkundigte sich John eifrig.
    »Das war etwas von mir.«
    Ihr Ton war scharf und barsch. Wetterman wechselte das Thema.
    Nachts träumte John Segrave wieder von dem Haus.
     
    John war unglücklich. Sein Leben ödete ihn an wie nie zuvor. Bisher hatte er es geduldig hingenommen – eine lästige Notwendigkeit, die seine innere Freiheit jedoch im Wesentlichen unberührt ließ. All das hatte sich nun geändert. Die äußere und die innere Welt verschmolzen miteinander.
    Er täuschte sich nicht über die Ursache für diese Veränderung hinweg. Er hatte sich auf den ersten Blick in Allegra Kerr verliebt. Wie sollte es jetzt weitergehen?
    Er war an jenem Abend zu verwirrt gewesen, um Pläne zu schmieden. Er hatte nicht einmal versucht, sie wiederzusehen. Als Maisie Wetterman ihn einige Zeit später für das Wochenende auf den Landsitz ihres Vaters einlud, nahm er erwartungsvoll an, doch er wurde enttäuscht, denn Allegra war nicht da. Er erkundigte sich bei Maisie nach ihr und erfuhr, dass Allegra droben in Schottland zu Besuch war. Er ließ es dabei bewenden. Er hätte gerne länger über sie gesprochen, doch die Worte schienen ihm in der Kehle
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