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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist
Autoren: Agatha Christie
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schmalen, schlitzförmigen dunkelblauen Augen, die an einen Elf oder einen Faun denken ließen, an etwas Wildes und im Wald Lebendes, war es unverständlich, dass ausgerechnet er als Opfer auf dem Altar des Mammon dargebracht werden sollte. Der Geruch der Erde, der Geschmack von Salzwasser auf den Lippen und der freie Himmel über sich – das waren die Dinge, die John Segrave liebte und denen er Lebewohl sagen musste.
    Mit achtzehn Jahren trat er als kleiner Büroangestellter in ein großes Handelshaus ein. Sieben Jahre später war er noch immer ein kleiner Büroangestellter, etwas älter zwar, aber ansonsten in unveränderter Position. Die Gabe, »es im Leben zu etwas zu bringen«, war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Er war pünktlich, fleißig, pflichtbewusst – ein Büroangestellter eben, nichts weiter.
    Und doch hätte er etwas sein können – aber was? Die Antwort darauf kannte er selbst kaum, doch er konnte sich nicht von der Überzeugung freimachen, dass es irgendwo ein Leben gab, in dem er hätte zählen können. Es steckte Tatkraft in ihm, rasche Auffassungsgabe, etwas, von dem seine Kollegen nie einen Blick erhascht hatten. Sie mochten ihn. Er war wegen seiner ungezwungenen freundschaftlichen Art beliebt, und sie waren sich nie der Tatsache bewusst, dass er sie eben dadurch von jeder echten Intimität ausschloss.
    Der Traum kam ganz plötzlich zu ihm. Es war kein kindisches Fantasiegebilde, das sich im Laufe der Jahre entwickelte und entfaltete. Er stellte sich in einer Mittsommernacht ein, genauer gesagt in den frühen Morgenstunden, und John Segrave erwachte daraus am ganzen Leibe prickelnd, bemüht, den Traum festzuhalten, der sich verflüchtigte, sich seinem Zugriff auf die undefinierbare Art entzog, die Träumen eigen ist.
    Verzweifelt klammerte er sich an ihn. Der Traum durfte nicht verschwinden – das durfte er nicht! Er musste sich an das Haus erinnern. Es war natürlich DAS HAUS! Das Haus, das er so gut kannte. War es ein reales Haus, oder kannte er es nur aus seinen Träumen? Er konnte sich nicht erinnern – aber er kannte es ganz bestimmt, kannte es sehr gut.
    Das erste fahle Licht des Morgengrauens stahl sich ins Zimmer. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille. Um 4.30 Uhr in der Früh fand London, das erschöpfte London, einen Augenblick lang Ruhe.
    John Segrave lag reglos da, eingehüllt in die Wonne, den Zauber und die vollkommene Schönheit seines Traumes. Wie klug es doch von ihm gewesen war, sich daran zu erinnern! Träume verflogen in der Regel so schnell, huschten an einem vorbei, gerade wenn man sie, zu sich kommend, mit ungeschickten Fingern einzufangen und festzuhalten versuchte. Aber er war zu schnell gewesen für diesen Traum! Er hatte ihn gepackt, als er sich ihm flugs entziehen wollte.
    Es war tatsächlich ein höchst ungewöhnlicher Traum! Da war das Haus und… Seine Gedanken kamen ruckartig ins Stocken, denn wenn er es sich recht überlegte, konnte er sich an nichts als das Haus erinnern. Und plötzlich, und zu seiner leisen Enttäuschung, erkannte er, dass ihm das Haus im Grunde völlig fremd war. Er hatte zuvor noch nicht einmal davon geträumt.
    Das Haus war weiß und stand auf einer Anhöhe. Es waren Bäume in der Nähe, blaue Hügel in der Ferne, doch sein eigentümlicher Reiz war von der Umgebung unabhängig, denn – und das war das Entscheidende, der Höhepunkt des Traumes – es war ein wunderschönes, ein eigentümlich schönes Haus. Johns Pulsschlag beschleunigte sich, als er sich von Neuem an die außergewöhnliche Schönheit des Hauses erinnerte. Der Außenansicht natürlich, denn innen war er nicht gewesen. Das war überhaupt nicht infrage gekommen – auf gar keinen Fall.
    Dann, als die schwachen Umrisse seines möblierten Zimmers im zunehmenden Licht Konturen anzunehmen begannen, erlebte er die Ernüchterung dessen, der geträumt hat. Vielleicht war sein Traum doch nicht ganz so wunderbar gewesen – oder hatte das Wunderbare, der erklärende Teil, sich ihm entzogen und lachte über seine blind tastenden Hände? Ein weißes Haus, das auf einer Anhöhe stand – was sollte daran schon sonderlich aufregend sein? Es war ein ziemlich großes Haus, wie er sich erinnerte, mit vielen Fenstern darin, und die Vorhänge waren alle zugezogen, nicht weil die Bewohner fort waren, dessen war er sich ganz sicher, sondern weil es so früh war, dass noch niemand auf war.
    Dann lachte er über seine absurden Vorstellungen und erinnerte sich, dass er am Abend bei Mr
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