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Sohn der Unendlichkeit

Sohn der Unendlichkeit

Titel: Sohn der Unendlichkeit
Autoren: Hans Kneifel
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Sie besaß langes schwarzes Haar und ein Gesicht, dessen Schnitt ausgesprochen mediterran war.
    »Ihr werdet auch meinen Abschied bald betreiben müssen«, sagte er. »Die Zeit ist um.«
    »Du mußt zurück? Sie warten auf dich, ja?«
    »So ist es. Und da ich nichts besser kenne als die Unruhe in meinem Herzen und die meiner Freunde, wäre es unfair, sie länger als nötig warten zu lassen.«
    »Das sehe ich ein«, erwiderte sie. »Aber wir werden noch viele Nächte für uns haben?«
    Er küßte sie und murmelte:
    »Ich bestehe darauf!«
    Eriadna schaffte mit ihrer verbindlichen Liebenswürdigkeit, was alle anderen nicht verstanden hatten. Sie beseitigte in Dorian Variatio den letzten Rest von Skepsis und dem Gefühl, doch einen Fehler begangen zu haben. Sie gab ihm die Sicherheit zurück, ein guter Kurier zu sein – oder gewesen zu sein. Eines war sicher richtig: Er besaß hier auf Halcyon nur Freunde. Freunde allerdings, die gleichermaßen Partner wie Lehrer waren. Aber das würde sich in den nächsten fünf Jahrtausenden wohl kaum ändern.
    Sein Problem war der freiwillige Absturz in die beispielhafte kontrollierte Barbarei der Menschen von Halcyon III.
     
    *
     
    Ein Habicht, der von einem gewaltigen Taubenschwarm verfolgt wurde. Dieses Beispiel fiel ihm notwendigerweise ein, als er in der halb geöffneten Landekugel saß und einen großen Kreis über die Glücklichen Inseln flog. Von überall her, aus jedem Horst, warfen sich seine Freunde, stürzten sich in die Thermikbereiche und drehten ihre Spiralen, bis sie in seiner Flughöhe waren. Schwingen und Körper, dazwischen aufgestörte Vogelschwärme. Ein Summen lag in der Luft, das Brandungsgeräusch wurde zur akustischen Kulisse.
    »Verdammt. Noch nicht einmal der Abschied von der Erde fiel mir so schwer«, sagte er und zog Eriadna an sich.
    »Halcyon ist nicht die Erde, und der Rückflug ist etwas anderes als der Start in unbekannte Abenteuer!« sagte das Mädchen.
    Eine gigantische Spirale von Tausenden Halcyon-Menschen folgte ihm, als er mit Hilfe der Kugel langsam größere Höhen gewann. Die Freunde winkten und riefen ihm zu, er möge einen guten und kurzen Flug haben und die Koordinaten nicht vergessen. Aus der Masse der Fliegenden löste sich das Kind und schoß näher – bei ihr waren die Schwingen besser ausgebildet. Im Gegensatz zu den anderen konnte sie echt fliegen, nicht nur schweben.
    »Grüße Amaouri von mir!« rief Volpa und hielt sich an der Kugel fest. »Und schleppe mich nach oben!«
    Er nickte.
    Die Spiralen der anderen wurden dünner und kleiner. Sie konnten ihm nicht mehr in die dünner werdende Luft folgen. Dorian umfaßte noch einmal das gesamte Reich unter ihm mit einem wehmütigen Blick. Sonnendurchglühte Nachmittage, Nächte voller Wein, voller Sterne und zusammen mit Eriadna. Gegrillte Fischstücke und rätselhafte Früchte, die wie Oliven schmeckten. Musik und die Brandung, die ihn in den tiefen Schlaf gleiten ließen. Das alles war vorbei – für lange Zeit. Er bestimmte die Höhe. Fünftausend Meter.
    »Du mußt gehen!« sagte er zu dem Mädchen. »Sei gewiß, daß ich dich zu den wichtigsten Erinnerungen meines Lebens zähle.«
    Sie blickte ihn verständnisvoll an und stand langsam auf. Unter ihr waren die ausgebreiteten Schwingen von Volpa.
    »Grüße sie alle von uns!« sagte sie.
    Ihre Finger verweilten einen schmerzlichen Augenblick lang auf seiner Wange, dann warf sich das Mädchen aus der Kugel, schoß mit angelegten Schwingen und ausgestreckten Armen schräg nach unten. Ihr langes Haar flatterte.
    »Vorbei!« sagte Dorian. »Wie hoch kannst du gehen, Volpa?«
    Sie zog sich mit einem Schwung zu ihm herein und erwiderte:
    »Elftausend Meter. Ich bin mit der Modifikation der Lungen noch nicht so weit wie du!«
    Sie kauerte sich neben ihn, zog die Knie mit den Händen an die Brust heran und deutete nach unten.
    »Einer der schönsten Planeten des Weltalls, Dorian. Wenn ich älter bin und mehr Verantwortung tragen kann, werde ich die Erde besuchen und feststellen, ob du übertrieben hast oder nicht.«
    »Wir werden dich ebenso freundlich und begeistert empfangen wie ihr mich. Aber du brauchst nicht, um uns zu überzeugen, wie Dorian oder Ikarus abzustürzen.«
    »Ich stürze nicht!« sagte sie.
    Auch du, meine kleine Freundin, wirst irgendwann dein Ikarus-Erlebnis haben. Auch für Halcyon gibt es jemanden, der klüger ist als sie. Aber das sind meine Probleme nicht, dachte Dorian V. als die Kugel höher hinaufraste und
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