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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen
Autoren: Alper Canıgüz
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hätten sich entschieden, meinem Vater die Hölle heiß zu machen, dann sollten Sie etwas mitberücksichtigen.«
    »Ach?«, sagte Metin Bilgin mit abfälligem Lächeln. »Und was soll das sein?«
    »Dann werde ich Ihnen die Hölle heiß machen.«
    Metin Bilgin war das Lachen vergangen. Er zog eine Maltepe aus seiner Tasche und zündete sie an, dann blies er den Rauch in die Luft, drehte sich um und ging in Richtung Tür. Onur Çalışkans Mund stand vor Erstaunen halb offen, und auch wenn er mich eine Sekunde lang ansah und seine Lippen bewegte, analysierte er vollkommen zu Recht, wie sinnlos weitere Worte wären, und rannte dem Staatsanwalt hinterher.
    Nachdem sie gegangen waren, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und sah, wie auf einer Seite der Krämer Yakup Ruhan Bey ein Ohr abkaute. Ich nahm eine Nelke aus der Vase, die auf dem Esstisch stand, und ging zu ihnen. Als der Krämer mich sah, begann er sein Lied anzustimmen: »Ha, das ist der Junge, dem letztens der Ball in deinen Garten geflogen ist …«
    Ich überging ihn geflissentlich und reichte Ruhan Bey die Blume. »Bitte überreichen Sie die der gnädigen Frau. Und bestellen Sie ihr meine besten Grüße.«
    Ruhan Beys Gesicht wurde auf einmal kalkweiß. Mit Mühe riss er sich zusammen und nahm, sich höflich bedankend, die Nelke an. Dann wandte er sich an den Krämer und meinte, dass er allmählich nach Hause müsse. »Ich gehe auch«, sagte ich. »Wenn Sie möchten, begleite ich Sie.« Nachdem ich meiner Mutter Bescheid gesagt hatte, verließen Ruhan Bey und ich gemeinsam das Haus.
    »Diese Skulpturen, die Sie gemacht haben, sind wunderschön«, sagte ich auf dem Weg zur Villa.
    »Vielen Dank.«
    »Warum verwenden Sie Seife?«
    »Als Material reicht es vollkommen aus. Es lässt sich leicht bearbeiten, und billig ist es obendrein.«
    »Aber genauso leicht lässt es sich auch zerstören. Sie wissen ja, dass ich eine Ihrer Statuen umgebracht habe.«
    »Menschen sterben«, erwiderte Ruhan Bey mit einem Schulterzucken.
    »Entschuldigen Sie, dass ich unerlaubt in Ihr Haus eingedrungen bin«, sagte ich. »Auf der Flucht vor einem Schurken musste ich mich dort verstecken.«
    Er machte eine abwinkende Handbewegung. »Ich denke, du hast noch niemandem gegenüber erwähnt, dass du sie gesehen hast. Sonst wären sie schon längst da gewesen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe dort sowieso niemanden gesehen. Ich dachte, die Person im Keller wären Sie gewesen. Ich habe das alles gerade erst begriffen, das heißt: beinahe alles. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Sie von Necla Hanıms Vorhaben wussten, als Sie die Villa bezogen.«
    Ruhan Bey drehte sich um und sah mich verwundert an. Er war erschüttert. Vielleicht dachte auch er, so wie Yeşim, er hätte es mit einem Zwerg zu tun, und bemühte sich höflich, meine Neugier zu befriedigen. »Necla Hanım ist sehr krank. Ich ahnte zwar etwas, als sie meinte, es sei ihr letzter Wille, in dieses Haus zu ziehen, aber wir redeten kein einziges Mal offen darüber.«
    »Das dachte ich mir«, murmelte ich. »Wenn Sie gestatten, möchte ich Sie noch etwas fragen: Was taten Sie, nachdem Hicabi Bey Sie rausgeschmissen hatte?«
    »Ich zog nach Düsseldorf«, lautete Ruhan Beys völlig unerwartete Antwort. »Dort arbeitete ich viele Jahre in der Brotfabrik meines mittlerweile verstorbenen Onkels.«
    »In Ihrer Freizeit formten Sie bestimmt Skulpturen aus Brotteig?«
    »Genau das tat ich«, erwiderte Ruhan Bey lächelnd. »Eines Tages, als ich wieder einmal mit Teig herumspielte, tauchte plötzlich mein Onkel auf. Ich hatte offen gestanden Angst, er könnte sauer werden, weil ich Zutaten verschwendete. Aber anstatt böse zu werden, geriet mein Onkel beim Anblick meiner Werke völlig aus dem Häuschen. Und genau in jener Nacht kamen wir auf die Idee mit den Brotfiguren, die aus der bescheidenen Brotfabrik meines Onkels die größte Konditorei Düsseldorfs machen sollte!« Ich warf ihm einen Blick zu, um zu prüfen, ob er mich auf den Arm nahm. Nein, er war zutiefst aufrichtig und fuhr mit derselben Ernsthaftigkeit fort: »Mein Onkel hat nie geheiratet und auch keine eigenen Kinder, genau wie ich. Deswegen ging die Bäckerei nach seinem Tod in meinen Besitz über. Im vergangenen Jahr haben wir unsere dritte Filiale eröffnet, und mittlerweile habe ich mehr als dreißig Mitarbeiter.«
    Es war Zeit, dass ich es akzeptierte: Die freie Marktwirtschaft war stärker als die Liebe und auch stärker als die Kunst. Lieber heute
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