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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen
Autoren: Alper Canıgüz
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Eilbegräbnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Umlauf bringen. Selbst wenn sein Vater und sein Bruder darauf mit Befremden reagierten, so würden sie das Verhalten des schmerzgeplagten älteren Sohns auf seine Überzeugung zurückführen, sie beide hätten die Mutter schmählich vernachlässigt.
    Im Anschluss an diese Aktion sollte seine Mutter nach Jahren ein neues Leben mit dem geliebten Mann beginnen. Doch leider musste sie zusammen mit den schlechten Erinnerungen auch ihre Söhne, Verwandten und Freunde der Vergangenheit anheimgeben. Ihr Mutterherz ließ es eigentlich nicht zu, die Wahrheit vor ihrem jüngeren Sohn zu verheimlichen, doch letzten Endes musste sie Şemi Abi recht geben, als er meinte, sein Bruder sei geistig minderbemittelt und könnte sich verplappern. In der Tat hätte um Haaresbreite ihr so langer wie blöder Sohn im letzten Moment alles zunichte gemacht. Nach der Nachricht vom Selbstmord seiner Mutter war der pflichtbewusste, törichte Sohn ins Krankenhaus geeilt – beseelt von dem Wunsch, seine tote Mutter ein letztes Mal zu sehen. Mit der Begründung, ihr Leichnam befände sich in der abgeschlossenen Leichenhalle, konnte Rebi Abi für eine Nacht vertröstet werden – eine ausgesprochene Übergangslösung. Keinesfalls würde man ihn am nächsten Tag auf dieselbe Art an der Nase herumführen können. Irgendwie musste dieses selige Zusammentreffen zustande kommen. Aber wie? Von Necla Hanım war kaum zu erwarten, dass sie sich im Leichenschauhaus auf eine Bahre legte und ihre eigenen sterblichen Überreste spielte. Eine Lösung musste her, und zwar unverzüglich. Genau an diesem Punkt muss man den Hut vor Şemi Abis scharfem Verstand ziehen. Er setzte tatsächlich alle Hebel in Bewegung, um Rebi Abis Wunsch zu erfüllen. Als diesem allerdings der Anblick seiner Mutter nicht genügte und er sich auch noch anschickte, der Verstorbenen einen Abschiedskuss auf die Wange zu geben, trat ihm der große Bruder vehement entgegen, es kam zum Handgemenge, und wahrscheinlich mit Zutun des Arztes, der selbst fürchtete, seine Machenschaften könnten auffliegen, wurde der kleine Bruder durch die Injektion eines starken Beruhigungsmittels unter Kontrolle gebracht. Nachdem er aufgewacht war, tischte man ihm die Lüge auf, seine Mutter sei längst bestattet worden. Und warum hatte Şemi Abi nicht zugelassen, dass er seine Mutter ein letztes Mal küsste? Sollte der Grund dafür wirklich gewesen sein, dass sein kleiner Bruder, wie Şemi Abi glaubte, nicht das Recht dazu hatte? Doch so logisch Rebi Abi diese Begründung aufgrund seines schlechten Gewissens erscheinen mochte – mit der Realität hatte sie nichts zu tun. Der Ältere war gegen diesen Kuss gewesen, weil es sich bei dem, was in der Nacht zuvor in der Leichenhalle deponiert worden war, nicht um einen Körper aus Fleisch und Blut handelte, sondern um eine Seifenskulptur, geformt von den Händen eines großen Künstlers, von Ruhan Bey!
    Es war kaum zu glauben, aber Şemi Abis Plan lief eine ganze Weile wie am Schnürchen, und alle – inklusive Ehemann und jüngerer Sohn – glaubten, Necla Hanım sei tot. Die beiden Liebenden waren in der Zwischenzeit wahrscheinlich weggezogen. Ihr Glück war allerdings nur von kurzer Dauer. Denn die Frau erkrankte an einem tödlichen Leiden. In dem Moment, als sie der Tatsache ihres Todes ins Auge sah, begriff sie, dass das Gefühl, das sie ans Leben gefesselt hatte, weniger die Liebe zu Ruhan Bey als vielmehr der Hass gegenüber ihrem Ehemann war. Sie beschloss, diesen widerwärtigen Kerl – möge er sich nicht im Grab herumdrehen –, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte, ins Jenseits zu befördern, bevor sie selbst von dieser Welt ging. Keine Ahnung, inwieweit Ruhan Bey in ihre Pläne eingeweiht war – jedenfalls überzeugte sie ihn irgendwie, in die verlassene Villa vor Hicabi Beys Nase zu ziehen. Mit Sicherheit hatte sie durch Rebi Abis Karte Kenntnis von dem Geheimgang zwischen ihrem früheren Zuhause und der Villa.
    Am Tag der Hinrichtung schlich sich die Frau durch besagten Gang in ihr altes Haus, schnitt ihrem Mann die Kehle durch und kehrte auf demselben Weg wieder in die Villa zurück. Als der verrückte Ertan und Erkin Abi abends zu Hicabi Bey nach Hause kamen, trafen sie auf die Leiche des pensionierten Polizeidirektors. Erkin Abi floh in wilder Panik, der verrückte Ertan blieb und stellte – seinem Namen alle Ehre machend – die Bude auf den Kopf.
    Nachdem Şemi Abi von der Ermordung
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