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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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Zutritt verboten! Vorsicht Einsturzgefahr!, warnten zwei Schilder, die jemand an die mit Brettern vernagelte Tür geschraubt hatte. Idiotisch, die Türen zu vernageln, wenn jeder durchs Fenster reinkonnte. Vicki kletterte durch dasselbe wie beim letzten Mal.
    Das Licht ergoss sich in einem breiten Streifen durch die zerborstenen Scheiben in den hohen Raum, glitt an der Wand entlang, fiel über den mit Schutt übersäten Boden und überzog die alten Sudkessel mit einem stumpfen Glanz. Bereits bei ihrem ersten Besuch war Vicki aufgefallen, dass jemand mit einer Flex aus zwei der drei Kupferkessel große Stücke herausgeschnitten hatte. Vermutlich jemand, der Buntmetall klaute. Die Kessel wollte Vicki später fotografieren. Zuerst war die Lampe dran, bei der sie am Samstag abgebrochen hatte. Jetzt war das Licht dafür perfekt. Sie nahm die Kamera aus dem Rucksack, schaltete sie an und legte sich rücklings auf den Boden. Zweieinhalb Meter über ihr baumelte das verrostete und leere Gestell für drei Neonröhren an zwei schmalen Ketten. Vicki sah durch den Sucher und zentrierte die Lampe, bis sie als Waagrechte die Bildmitte durchschnitt. Der dunkle Firstbalken bildete eine Senkrechte, das einfallende Licht beleuchtete eine der Schrägen, die andere lag im Schatten. Eine total geile geometrische Komposition. Vicki betätigte den Auslöser mehrmals, stand auf und betrachtete das Ergebnis auf dem Display. Alleine wegen dieses Motivs hatte es sich bereits gelohnt, nochmals hierherzukommen. Sie wandte sich dem verrosteten Heizkörper zu, dessen Farbe abblätterte wie Haut nach einem Sonnenbrand. Den hatte sie schon am Samstag fotografiert, aber das Licht, das nun auf ihn fiel, warf interessante Schatten, ließ ihn wie ein urzeitliches Schuppentier erscheinen. Nach einigen Aufnahmen blinkte ein Symbol im Display. Die Speicherkarte war voll. Vicki wechselte sie gegen eine freie, legte die volle in die Schutzhülle und schob diese in die Hosentasche. Anschließend fotografierte sie die gekappten Kabel, die aus dem Sicherungskasten baumelten, klopfte sich den Staub von den Shorts und wandte ihre Aufmerksamkeit den Kesseln zu.
    Etwas war anders als am Samstag, das hatte sie vorher schon wahrgenommen, aber nun sah sie, was es war. Irgendwelche Schweine hatten ihren Müll hier abgeladen. In der Mitte des aufgeschnittenen Sudkessels lagen ein schwarzer und ein blauer Müllsack. Wobei das Schwarze kein Sack war, eher eine Rolle aus Folie. Etwas lugte daraus hervor. Im ersten Moment begriff sie nicht, was sie da sah.
    Es war eine Hand mit rosa lackierten Nägeln.
    Verwundert bemerkte Vicki, dass sie weder das Bedürfnis hatte, schreiend davonzurennen, noch, den Inhalt ihres Magens auf den Boden zu würgen. Es war auch nicht Angst, die sie fühlte, sondern Kraftlosigkeit, die sich in den Beinen ausbreitete und sie zwang, sich auf den gemauerten Vorsprung in der Nähe des Kessels zu setzen. Vicki starrte auf die Hand mit ihren schmalen Fingern und registrierte die Stille zwischen den Mauern, das Zwitschern eines Vogels draußen im Wald, das Licht, das scheinbar kühler geworden war, und die Trauer, die in ihr aufstieg, wie in einem Gefäß, bis sie ganz damit angefüllt war und am liebsten diese Hand in ihre genommen hätte.
    ***
    Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort räumte seinen Schreibtisch auf, schaltete den Computer aus und hoffte auf einen ruhigen Abend. Die vergangenen zehn Tage hatte er mit Gina und Alois durchgearbeitet, um einen Raubmord aufzuklären. Seit heute war der Fall abgeschlossen. Protokolle und Abschlussbericht waren geschrieben, und jetzt wollte er raus aus der Büroluft, an den Starnberger See, zur Sissi, seinem Boot, das er im letzten Herbst gekauft hatte und dem er seither einen anderen Namen geben wollte.
    Es lag bei Schorschs Segelschule am Steg und hatte seit April wieder Wasser unter dem Kiel, doch bisher war Dühnfort erst an zwei Wochenenden zum Segeln gekommen. Beim ersten Mal hatte er wider Erwarten Angst überwinden müssen. Angst, die sich einstellte, als das Ufer hinter ihm lag, er die weite Wasserfläche vor sich sah und die Tiefe des Sees spürte. Diese Tiefe. Ein Anflug von Panik wollte ihn zur Umkehr zwingen, er gab ihm nicht nach. Es war sein Fehler gewesen, damals. Ein typischer Anfängerfehler, den er, als erfahrener Segler, nicht zu wiederholen gedachte. Er drängte die Erinnerung zurück, wollte sich nicht durch unsinnige Angst das Gefühl von Freiheit nehmen lassen, das er auf der
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