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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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er.
    »Heute eher traurig. Obwohl das Risiko, eine Leiche zu finden, für einen Urban Explorer ja höher ist als für Leute, die den ganzen Tag vor der Glotze hängen.«
    »Was ist das, ein Urban Explorer?«
    Sie erklärte ihm, was es mit diesem Hobby auf sich hatte, dass es einen Ehrenkodex gab und dass sie hier nicht eingebrochen war, sondern durch eine Lücke im Zaun und durch ein eingeschlagenes Fenster geklettert war. Das Einzige, was man ihr vorwerfen konnte, war Hausfriedensbruch, und das auch nur dann, wenn der Eigentümer Anzeige erstattete. Sie kannte sich aus. Die losen Bretter im Zaun ließ Dühnfort sich zeigen. »Waren Sie schon öfter hier?«
    »Das erste Mal am Samstag. Da musste ich abbrechen. Das Licht wurde schlecht.«
    »Da haben Sie im selben Gebäude fotografiert wie heute?«
    Sie nickte. »Am Samstag lag sie aber noch nicht da.«
    Buchholz erschien neben Gina auf der Rampe und gab Dühnfort ein Zeichen, dass er nun den Fundort betreten könne. Gleichzeitig kam Alois durch das Zugangstor und steckte sein Handy ein. Dühnfort bat Viktoria Senger zu warten, bis ein Kollege sie ins Präsidium bringen und ihre Aussage aufnehmen würde.
    Dann stieg er, gefolgt von Alois, auf die Rampe.
    »Ihr könnt hier durch«, sagte Buchholz. »Durch dieses Fenster wurde die Leiche nicht gebracht. Aber vorher …« Er reichte ihnen Schutzkleidung. Nachdem sie diese angezogen hatten, kletterten sie ins Innere.
    Ein hoher Raum. Schutt auf dem Boden. Ein offener Sicherungskasten, aus dem gekappte Kabel ins Leere baumelten. Verrostete Lampengestelle hingen von der Decke. Zerbrochene Bierkästen, zusammengedrückte Getränkedosen, etliche Zigarettenkippen und mehrere Schnapsflaschen lagen zwischen Ziegelbrocken, Staub und Dreck. Vor diesen Dingen standen bereits Schildchen mit Spurennummern. Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung arbeiteten an einer offenen Tür auf der Südseite des Raums, die auf eine Außentreppe führte.
    Weiter hinten befanden sich zwei mannshohe Sudkessel. An einem fehlten große Teile der Kupferverkleidung. Die Öffnung maß etwa ein Drittel des Umfangs und reichte von oben, wo sich der Kessel zu einem Rohr verjüngte, bis zum Boden. Dort lag ein dunkelblauer Müllsack und davor eine schwarze Rolle.
    Dühnfort sah die Hand im Näherkommen. Sie lugte unter der unregelmäßig beschnittenen Kante der Folie hervor. Es war die Linke, sehr weiß, die Nägel rosa lackiert, ein schmaler Silberreif am Ringfinger. Er blieb stehen, ließ das Bild auf sich wirken, bemerkte, wie Gina und Alois sich neben ihn stellten. Es herrschte Stille. Irgendwo zwitscherte ein Vogel. Aus weiter Ferne dröhnte der Lärm eines Flugzeugs und etwas näher das Brummen eines Autos. Neben der eingewickelten Leiche lag ein Schmetterling. Dühnfort ging in die Hocke und betrachtete ihn. Er war von erhabener Schönheit. Die Flügel waren dunkelbraun mit einem Schimmer Bordeaux und gingen nach außen in einen schwarzen Streifen über, der wiederum mit fliederfarbenen Tupfern verziert war wie kostbarer Damast. Daran schloss sich ein vanillegelbes Band an, das bis in die gezackten Flügelränder zu einem zarten Weiß auslief. Der Körper hatte alle Spannung verloren und lag schlaff auf einem Ziegelbrocken, wie dekoriert.
    Dühnfort erhob sich aus der Hocke und wandte sich an Buchholz. »Habt ihr den Schmetterling schon?«
    »Du denkst, der hat was zu bedeuten?«
    Dühnfort wusste es nicht. Im Moment sammelte er Eindrücke, und etwas an diesem Falter irritierte ihn.
    Buchholz platzierte ein Schildchen neben dem zerbrochenen Ziegel, klebte einen Maßstreifen daran und fotografierte das tote Insekt, bevor er es vorsichtig mit einer Pinzette in ein Plastikschächtelchen schob. Dann deutete er auf die Leiche. »Sollen wir?«
    Dühnfort wappnete sich und nickte. Buchholz stieg in den Kessel und schlug die Folie zurück. Der linke Arm wurde sichtbar und ein Stück der Schulter. Etwas stimmte nicht. Dühnfort erkannte es, noch bevor Buchholz den Körper weiter enthüllte, und atmete scharf aus. Der Anblick des kopflosen Leichnams traf ihn nicht restlos unvorbereitet. Dennoch wich er unwillkürlich zurück. Gina stöhnte, Alois entfuhr ein Keuchen. Einzig Buchholz zeigte keine Reaktion. Er starrte auf den Körper, richtete sich auf und suchte Dühnforts Blick. Beide dachten das Gleiche.
    Buchholz beugte sich über den Müllbeutel, während Dühnfort den Leichnam betrachtete. Es war der beinahe nackte Körper einer jungen Frau. Sehr schlank, mit
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