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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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Staatsanwalt und dann den Führer des Unfallkommandos. Polizeihauptmeister Volker Schellenberg, ein drahtiger Mittfünfziger mit wachen Augen, reichte Dühnfort die Hand. »Schön, dass Sie da sind. Ich denke, der Fall gehört euch. Das war kein Unfall.«
    Dühnfort hatte das an der Kollision beteiligte Fahrzeug nicht entdeckt. Sachbeweise, die Schellenbergs Einschätzung stützten, gab es also nicht. Wenn er statt Unfallflucht einen Mordanschlag vermutete, konnte das nur einen Grund haben.
    »Ich hoffe, es gibt mehr als einen Zeugen.« Langsam wurde es Dühnfort zu warm. Er knöpfte den Mantel auf.
    »Zwei. Sie haben das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven beobachtet und ihre Aussagen decken sich.« Der Stehtisch wackelte, als Schellenberg sich aufstützte.
    Zeugenaussagen waren eine Sache für sich. Das Gedächtnis war nur allzu gern bereit, fehlende Kausalzusammenhänge selbst herzustellen und dann für bare Münze zu nehmen. »Aufzeichnungen einer Überwachungskamera wären mir ehrlich gesagt lieber«, entgegnete Dühnfort.
    »Gibt es aber leider nicht. Ich schätze die Zeugen als zuverlässig ein. Es sind keine sehbehinderten und Hörgeräte tragenden Rentner.« Schellenberg verzog den Mund zu einem Lächeln. »Beide haben beobachtet, wie Jens Flade, so heißt der Tote, sein Büro verließ und auf die Straße trat. Zur selben Zeit parkte achtzig Meter entfernt ein dunkler SUV aus, beschleunigte rasch und fuhr auf Flade zu, der inzwischen die Fahrbahnmitte erreicht hatte. Der Mann wurde überfahren, ohne dass der SUV gebremst hätte. Die Bremslichter leuchteten erstmals etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hinter der Unfallstelle auf, als der Fahrer kurz hielt, dann aber weiterfuhr. Selbst wenn der Fahrer Flade in der Dämmerung nicht gesehen haben sollte – bei einer Kollision ist der Tritt auf die Bremse ein Reflex. Es sei denn, man hat nicht vor, das zu tun.«
    Das zu späte Aufleuchten von Bremslichtern war also alles, was für ein Tötungsdelikt sprach. Dühnfort war skeptisch. »Ich würde gerne mit den Zeugen reden. Sind sie noch hier?«
    »Ihr übernehmt das also.« Leyenfels legte zwei Münzen auf den Tisch und zog den Reißverschluss seiner Designerdaunenjacke zu. »Halt’ mich auf dem Laufenden.« Er nickte Dühnfort zu, dann Schellenberg und verließ die Bäckerei.
    »Sie warten in unserem Bus«, beantwortete Schellenberg die noch offene Frage.
    Na prima, dachte Dühnfort. Sicher unterhalten sie sich seit einer halben Stunde über nichts anderes als den Unfall. Da gleichen sich die Aussagen ganz von selbst an.
    Doch diese Vermutung musste Dühnfort revidieren. Schellenberg hatte dafür gesorgt, dass die Zeugen getrennt untergebracht waren. Oberstleutnant Phillip Büttner saß auf dem Beifahrersitz des Fahrzeugs und las in einem Buch. Die Studentin Marie Sittler wartete im hinteren Teil des Busses, der mit Tisch, Bank und Laptop für die Befragung von Zeugen eingerichtet war. Die junge Frau starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Handy und MP 3 -Player lagen auf dem Tisch vor ihr.
    Schellenberg stellte sie einander vor. Dühnfort setzte sich und fragte, wie es ihr ginge, ob er ihr ein paar Fragen stellen könne. Er sah ihr den Schrecken an. Der Teint war fahl, die Haltung verspannt. Nun legte sie die Hände ineinander.
    »Geht schon.«
    »Gut. Können Sie mir bitte möglichst exakt schildern, was sie beobachtet haben?«
    »Ja. Klar. Also ich bin von der Bushaltestelle gekommen. Dahinten.« Sie deutete in die Dunkelheit. »Als ich kurz vor der Bäckerei war, habe ich den Mann gesehen. Er ging vom Gehweg auf die Straße und telefonierte. Gleichzeitig hat mich ein Auto überholt, ein dunkler Geländewagen. Er war erst langsam, hat dann aber beschleunigt. Ich habe mir noch gedacht, dass der jetzt doch bremsen muss, da hat es schon gekracht … obwohl, gekracht ist falsch. Das war ein dumpfes Geräusch, eher leise … Was mit dem Mann genau geschehen ist … ob er auf die Motorhaube geschleudert wurde … oder so … also das habe ich nicht gesehen … Es war ja ein Geländewagen, ziemlich hoch. Der fuhr einfach weiter … und dann ruckelte der so komisch … als ob er über eine Bodenschwelle fährt … aber da war ja keine Schwelle.« Tränen traten der jungen Frau in die Augen. »’tschuldigung«, schniefte sie und wischte sich über die Augen. »Dann habe ich den Mann wieder gesehen. Er lag auf der Straße. Also, der Wagen hat nicht gebremst. Der hat ihn einfach überrollt und ist
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