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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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westlichen Ufer. Dühnfort nahm die Füße von der Reling, stand auf und ging in die Kajüte, um sich ein Mineralwasser aus der Kombüse zu holen.
    Ob sie je die Details erfuhren, die die Fälle in allen Einzelheiten klären würden? Das war mehr als zweifelhaft. Mittags hatte Dühnfort Wernegg auf der Intensivstation besucht. Er lag noch immer im Koma, und sein Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Die Ärzte hatten keine Hoffnung. Seine Tante hatte bei ihm gesessen, hatte seine Hand gehalten und war Dühnforts Fragen ausgewichen.
    Von oben rief jemand nach ihm. Dühnfort ging zurück auf Deck. Der Schorsch stand am Steg. Graumelierte Locken, ein wilder Bart um die Wangen, ebenso wuchernd wie die Haare an seinen sehnigen Beinen. Er trug Khakishorts und derbe Stiefel, das karierte Hemd wehte offen im Wind über der nackten Brust. »Die Glut ist perfekt.«
    »Ich komme.« Aus der Kajüte holte Dühnfort Fleisch und Wein und gesellte sich zu ihm.
    Als die Nacht klar wurde, der Mond am Himmel stand, kühle Feuchtigkeit aus der Wiese aufstieg und der See wie eine schwarze Fläche vor ihnen lag, waren Fleisch und Salat verzehrt, zwei Flaschen Wein geleert und der Grill erloschen. In einer geschmiedeten Schale daneben loderte ein Feuer.
    Schweigend saßen sie davor und starrten in die Flammen, bis Dühnfort begann, Schorsch oder der Nacht, vielleicht auch sich selbst von seinem Dilemma zu erzählen.
    Konnte man in zwei Frauen verliebt sein, und doch war keine die richtige? Agnes, die er für ihre Stärke und Unabhängigkeit liebte, für ihren trockenen Witz, der ihr selbst nicht bewusst war, ihren spröden Charme. Agnes, die allerdings keine feste Bindung wollte und sich nicht vorstellen konnte, nochmals Mutter zu werden. Agnes, mit der er seinen Traum von Familie nicht verwirklichen könnte.
    Dühnfort griff nach dem Glas und begann es zwischen den Fingern zu drehen, als er sah, dass es leer war.
    Und dann Gina. Seine Freundin und unverzichtbare Mitarbeiterin. Gina, die wie er Kinder haben wollte. Gina mit ihrer Leichtigkeit und Burschikosität, mit ihrer Lebensfreude und Unkompliziertheit. Gina, die ihm das Leben gerettet hatte und lieber mit ihm gestorben wäre, als ohne ihn zu leben. Dieser Satz war es, der zwischen ihnen stand.
    Hätte sie ihn nicht gesagt, würde er sich dann anders verhalten? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass diese Nacht mit ihr … er hatte sie genossen, würde sie gerne wiederholen. Aber sie war gegangen. Wie Agnes.
    Zeit, Feierabend zu machen, Boss. »Und nun tut sie so, als sei nichts geschehen.« Dühnfort griff nach einem Stock und stocherte in der Glut.
    Schorsch, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, warf einen Scheit Holz ins Feuer. »Mei, Tino. Du bist a solcher Depp.«
    ***
    Der Tränenstrom war irgendwann am Freitagabend versiegt. Gut so, dachte Vicki. Man konnte schließlich nicht ewig heulen. Es änderte ja nichts. Dennoch fühlte sie sich seit Donnerstagabend wie unter Wasser. Als sei ein ganzer Ozean über ihr zusammengeschlagen. Auch das würde vergehen, und sie wieder auftauchen. Das wusste sie schließlich aus Erfahrung. Irgendwas, das sich Schicksal nannte oder Gott oder wie auch immer, hatte aus unerfindlichen Gründen beschlossen, ihr ständig eins überzubraten. Aber nun war das Maß voll! Sie hatte mehr als genug Schicksalsschläge für ein Leben eingesteckt und würde sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Niemals!
    Samstagmorgen stieg sie aus Claras Gästebett, frühstückte mit ihrer noch immer beunruhigten Chefin, die sie umsorgte wie eine Kranke, fuhr dann nach Hause und holte Epiktet aus seinem Asyl bei Benno, dem Architekten. Mittags packte sie ihre Bücher, Schulunterlagen und das Berichtsheft und radelte zurück zu Clara. Schließlich hatte sie gesagt, dass am Wochenende gelernt würde. Die Konzentration aufs Lernen tat gut, lenkte ab, rückte die düsteren Gedanken beiseite.
    Erst als sie sich am frühen Abend auf den Weg zu Alex nach Laim machte und in der S-Bahn saß, wollte das Fragenkarussell wieder Fahrt aufnehmen. Weshalb hatte Jobst das getan? War er wirklich ein Mörder? Wie hatte er nur derart Grauenhaftes tun können? Das passte doch gar nicht zu ihm. Andererseits, woher wollte sie das wissen? Eigentlich kannte sie ihn nicht.
    Sollte sie ihn im Krankenhaus besuchen? Kaum hatte sie sich diese Frage gestellt, wusste sie, dass sie das nicht tun würde. Sie war keine Samariterin und hielt ganz gewiss nicht dem, der sie auf die eine Backe
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