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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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und die Stadt voll spendierfreudiger Touristen gewesen. Vom geschnorrten Geld hatte sie Hamburger und Dosenbier gekauft und sich abends im Park am Marienhof mit Paul und Adele getroffen. Bis Paul loszog, um noch irgendwas zu besorgen, und Adele zum Abendessen zu ihrer Oma ging.
    Vicki blieb alleine zurück. Die Sterne standen am Himmel. Sie dachte an Adrian, an Paris, an die wenigen Wochen. Plötzlich klingelte ein Handy. Es lag unter der Bank. Vicki hob es auf und meldete sich. Irgend so ein Arsch war dran, der ihr erklärte, das sei sein Handy und ein superteures Teil und wenn sie es nicht augenblicklich zurückbringe, dann bekomme sie Stress mit der Polizei. Als hätte sie das Ding geklaut. Sie handelte einen Finderlohn aus und machte sich auf den Weg. Restaurant Dukatz in den Fünf Höfen. Nur ein paar Minuten zu Fuß. Als sie fast da war, bog ein Streifenwagen in die Theatinerstraße ein. Der Typ wollte sie linken! Augenblicklich wandte Vicki sich Richtung Rathaus. Am Fischbrunnen setzte sie sich auf die Stufen, wählte die Nummer der Telefonauskunft und fragte nach der Zeitansage in Tokio. Eine freundliche Frauenstimme nannte sie ihr und wollte anschließend wissen, ob sie gleich verbinden sollte.
    »Das wäre sehr nett«, säuselte Vicki.
    Es klingelte mehrmals, dann meldete sich eine Männerstimme. »Telefonseelsorge München. Wie kann ich helfen?«
    Vielleicht waren drei Dosen Bier zu viel gewesen, vielleicht hatte sie diese Last aber auch schon zu lange mit sich herumgetragen, vielleicht waren auch die Sterne schuld, diese Wegweiser in die Unendlichkeit, und bis heute wusste Vicki nicht, ob die Frau von der Telefonauskunft sich verwählt oder einen Spaß mit ihr getrieben hatte. Jedenfalls hatte sie sich in dieser Nacht auf Kosten eines reichen Arschs alles von der Seele geredet, bis der Akku leer gewesen war und sie das superteure Teil im Fischbrunnen versenkt hatte. Die letzten Worte des Mannes, der ihr ewig zugehört hatte, waren zu ihrem Lebensmotto geworden: »Wer sein Leben ändern will, sucht Wege, und wer nicht, der sucht Gründe. Also, Pfadfinderin, mach dich auf die Suche!«
    »Hörst du mir überhaupt zu?« Clara fixierte sie mit strengem Blick.
    Vicki fuhr aus ihren Überlegungen hoch. »Doch. Ja. Es tut mir leid. Echt. Aber es war ja nur eine Viertelstunde.«
    Auf Claras Gesicht erschien ein widerwilliges Lächeln. »Wenn man bedenkt, dass du anfangs gleich stundenweise zu spät gekommen bist … vielleicht schaffst du es bis zum Ende deines ersten Lehrjahres ja wenigstens ein Mal, um halb neun hier in Erscheinung zu treten. Und jetzt mach dich an die Arbeit. Es gibt Flüge und Hotels für Hofmann Logistics zu buchen. Der halbe Laden fliegt zu einem Kongress nach Boston. Ich habe dir die Daten hingelegt. Über dein Outfit reden wir heute Mittag.«
    Uuups, dachte Vicki, zog eine Schnute, stellte die Sammelbüchse zurück an ihren Platz und startete den PC .
    Bis zur Mittagspause hatte sie Flüge und Hotels für den Firmenkunden gebucht, außerdem ein älteres Ehepaar beraten, das eine Kreuzfahrt machen wollte, einem jungen Paar eine Pauschalreise nach Antalya verkauft und eine weitere Spende von drei Euro erhalten.
    Um zwölf schloss Clara das Büro für eine Stunde. Sie wohnte in der Nähe und ging wie immer nach Hause, um Clyde, ihren Golden Retriever, Gassi zu führen.
    »Dann bis später.« Die Türe schloss sich hinter Clara. Henriette war schon weg. Sie traf sich mit einer Freundin beim Griechen in der Nähe des Bahnhofs.
    »Soll ich dir was vom Metzger mitbringen?« Steffen trat hinter sie und sah ihr über die Schulter.
    Vicki blickte auf. »Gerne. Eine Leberkässemmel.« Die war billiger als die Schinkensemmel neulich. Ganz zu schweigen von dem Camembertbaguette, das sie sich vor einigen Tagen in einem Anfall von Luxus gegönnt hatte.
    »Sonst nichts?«
    »Dessert habe ich dabei.« Vicki deutete auf den Apfel, der neben der Tastatur lag, und holte dann das Geld für ihr Mittagessen aus dem Portemonnaie.
    Als auch Steffen gegangen war, loggte sie sich auf der explore-muc-Website ein. Seit einigen Wochen war sie dort Mitglied. Anfangs hatte sie nur die Fotos angesehen, im Forum mitgelesen, sich dann aber getraut, ihre ersten eigenen Urban-Exploring-Bilder online zu stellen. Aufnahmen, die sie in einer verlassenen Schraubenfabrik im Münchner Norden gemacht hatte. Sie waren echt gut geworden. Hartes Licht und starke Kontraste, wie beim Foto der Fensterfront mit den zerbrochenen Scheiben.
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