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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön
Autoren: Inge Löhnig
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Cent. Sie kramte in den Tiefen ihres Rucksacks nach der Geldbörse und fand sie unter Adrians Kamera.
    Als sie das Reisebüro wieder betrat, saßen alle an ihren Plätzen. Der erste Kunde war da und wurde von Clara bedient. Gut so. Konnte sie sich erst mal abregen. Henriette hing am Telefon und erklärte jemandem, dass die Kataloge für die Wintersaison erst Ende August kämen. Steffen machte Ablage. Depperlarbeit für Praktikanten.
    Vicki stellte Stiefel und Rucksack unter ihren Schreibtisch und bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass ihr Deo versagt hatte. Barfuß ging sie nach hinten zur Personaltoilette. Auf dem Weg dorthin registrierte sie, wie Claras Blick an ihren nackten Füßen hängenblieb, wie der von Steffen ihre Waden bis zum Saum der Shorts hochwanderte und Henriette den pink geschminkten Mund verzog.
    In Henriettes Kosmetikdepot fand Vicki zwischen Lippenstiften, Erfrischungstüchern, Parfumproben und diversen Handcremes einen Deostift. Sie schraubte ihn auf und roch daran. Ging so.
    Einen Augenblick später war ihr Problem behoben. Aus der kleinen Küche hinter dem Verkaufsraum holte sie sich einen Becher Kaffee und kehrte an ihren Platz zurück.
    Claras Kunde war im Begriff, den Laden mit einem Stapel Prospekten unterm Arm zu verlassen, entdeckte dabei die Spendenbüchse und las den Aufkleber, den Vicki selbst gestaltet hatte. Seine Stirn runzelte sich. »Therapeutisches Reiten«, murmelte er. »So ein Schmarrn.« Kopfschüttelnd ging er zur Tür.
    Vicki griff sich die Dose und eilte ihm nach. »Das ist kein Schmarrn. Es hilft den Kindern, Sicherheit und Vertrauen zu gewinnen.«
    Der Mann blieb stehen und musterte sie. Mit seinen über die Halbglatze gequälten grauen Strähnen erinnerte er sie an ihren Geschichtslehrer, den hatte sie echt nicht ausstehen können. »Wenn es so sinnvoll ist, weshalb müssen Sie dann dafür sammeln? Weshalb wird das nicht vom Träger des Kinderheims oder von der Krankenkasse finanziert?« Seine buschigen Brauen stiegen in die Höhe.
    »Weil kein Schwein …« Okay, dachte Vicki im selben Moment beschämt, so geht es nicht. »Die Mittel sind knapp, und im laufenden Haushalt des St.-Michael-Hauses war nichts mehr übrig fürs Reiten«, korrigierte sie sich. Das klang doch schon besser. Sie reckte die Schultern.
    Der Mann runzelte die Stirn. »Und was haben Sie damit zu tun?« Sein Blick wanderte von der Büchse zu Clara Mohn, die von ihrem Schreibtisch aus das Gespräch verfolgte, und wieder zurück zu Vicki.
    »Ich arbeite ehrenamtlich für das Kinderheim. In meiner Freizeit betreue ich eine Gruppe von Kindern im Alter von vier bis acht Jahren, die traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben. Eine Reittherapie würde ihnen helfen, die besser zu bewältigen.« Vicki war stolz auf sich. Das war druckreif gewesen.
    »Ehrenamtlich. In Ihrer Freizeit. Respekt.« Der Mann zog seine Geldbörse aus der Hosentasche, entnahm ihr einen Fünfeuroschein, faltete ihn zusammen und stopfte ihn durch den Schlitz der Sammelbüchse.
    Fünf Minuten reiten, dachte Vicki. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. »Danke.« Sie schenkte ihm ihr strahlendes Schnorrerlächeln, das sie sich aus ihrer Zeit auf der Straße bewahrt hatte, und hielt ihm die Tür auf.
    Der Flohmarkt, den sie gemeinsam mit dem Pfarrgemeinderat zugunsten des St.-Michael-Hauses plante, würde hoffentlich mehr bringen. Aber das eigentliche Ziel war in utopischer Ferne. Wie sollte sie jemals die fünfeinhalbtausend Euro zusammenkriegen, die nötig waren, um für vier Kinder ein Jahr lang Reittherapie bezahlen zu können?
    Clara räusperte sich.
    Vicki drehte sich um. Es war Zeit für das Donnerwetter.
    »Sorry, tut mir wirklich leid. Ich hab ja versucht pünktlich zu sein.«
    »So geht das nicht, Vicki. Pünktlichkeit ist eine Form von Höflichkeit …«
    »Mit dem Rad brauche ich einfach …«
    »Dann musst du dir angewöhnen, früher aufzustehen. Und andere ausreden zu lassen gehört ebenfalls zum guten Benimm.«
    Ach nee, dachte Vicki und fing Steffens kumpelhaftes Grinsen auf. Der sollte sich da mal raushalten. Das ging ihn gar nichts an. Clara war schon okay. Vicki schnitt Steffen eine Grimasse und ließ die Predigt über sich ergehen. Ihre Chefin war wirklich in Ordnung. Sie hatte ihr als Einzige eine Chance gegeben.
    Ein Jahr war es nun her, seit Vicki begonnen hatte, ihr Leben umzukrempeln. Diesen Tag würde sie nie vergessen, besser gesagt jene Nacht. Eine laue Frühsommernacht im Juni.
    Der Tag war gut gelaufen
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