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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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Artikel heißt es, dass ich meine Krankheit inszenieren würde und mal wieder provozieren wolle, statt mich um die Förderung der Hospizbewegung zu kümmern: Denn da würde das wahre Sterben stattfinden, da müssten die Leute begleitet werden, da könne man das Tabu des Sterbens in unserer Gesellschaft brechen. Ich würde ja auch gar nicht widersprechen, klar ist die Hospizbewegung eine gute Sache. Es ist mir inzwischen auch egal, wenn jemand, der augenscheinlich keine Ahnung von meiner Arbeit hat, mich mal wieder als Provokateur bezeichnet.
    Aber der Redakteur schrieb eben auch, dass ich mir, statt meine Krankheit öffentlich zur Tragödie zu stilisieren, mehr Gedanken über die echte Kultur des Sterbens machen solle, bevor es zu spät sei.Als Schlusssatz des Artikels stand da wirklich: »Bevor es zu spät ist.« Das ist genau dieser Hammer, der in dem System lauert: diese Drohung, man solle auf Erden alles ins Reine bringen, bevor es zu spät ist. Unter dem Motto: Wenn du stirbst, dann sind die Würfel gefallen, dann wird man entscheiden über dich. Was ist das für ein Horror? Was soll das? Ich werde so wütend, wenn ich mir klarmache, was für ein bösartiger Ansatz das ist, der einem jede Freude am Leben nehmen will. Kommt eine Eintagsfliege auf die Welt und kriegt gesagt: So, du hast jetzt 24 Stunden Zeit, und wehe, du wirst dich nicht a) weiterentwickeln, b) zum Guten wenden, c) Gutes tun und d) begreifen, dass du in Gottes Hand bist. Wenn du das nicht hinkriegst, dann sind die Würfel gefallen, dann kommst du als Elefant auf die Erde zurück. Das ist doch eine aberwitzige Höllenmaschine, die da angeworfen wird.
    Und e) habe ich sogar noch vergessen: Wehe, wenn du dich zum Sterben nicht ins stille Kämmerchen zurückziehst.Weil Sterben »still, lautlos, wortlos und handlungslos« sei – das steht wortwörtlich so in diesem Artikel. Daher solle ich mich zurückziehen und verstummen, das sei die einzige angemessene Reaktion auf die Einsicht, wie hinfällig das Leben ist. Und nicht noch als Berserker auf irgendeiner Bühne rumtoben.
    O Mann! Da kann einen ja nur trösten, dass der letzte Papst wohl auch einen gravierenden Fehler gemacht hat, als er da bis zuletzt immer wieder ans Fensterchen gefahren kam, um sich den Leuten zu zeigen und seinen Segen ins Mikrofon zu flüstern.

    Jedenfalls habe ich in Duisburg bei den Proben zu »Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« die schönste Zeit erlebt, die ich mir überhaupt vorstellen kann. Es war ein solches Glücksgefühl, wieder mit all meinen Leuten arbeiten zu dürfen. Ich bin halt ein Arbeiter, der im Team etwas auf die Beine stellt; diese Idee, an irgendeinem See zu sitzen und nichts zu tun, ist keine Möglichkeit für mich. Und so hatte ich mich entschieden, bei der RuhrTriennale meine Erfahrungen der letzten Monate zu bearbeiten.
    Am Anfang war es ein bisschen schwierig. Ich war noch sehr schlapp, und weil ich damit nicht umgehen konnte, habe ich gleich zu Beginn versucht, mit viel Brüllerei einen der Toningenieure fertigzumachen. Es ist absurd, mit welcher Ungerechtigkeit kraftlose Leute manchmal unterwegs sind. Man neigt dazu, seine eigene Unfähigkeit durch die Erniedrigung anderer zu überdecken. Das ist natürlich große Scheiße, aber immerhin habe ich ihn sofort danach um Verzeihung gebeten.
    Anschließend haben wir wunderbar weitergearbeitet, ich wurde ruhiger, und es waren sehr intensive, skurrile Proben. Alle waren wir wieder zusammen, so viele liebe Menschen, mit denen zu arbeiten mir eine unglaubliche Freude bereitete. Schön war auch, dass meine Behinderten, mit denen ich ja seit Jahren arbeite, wieder dabei waren. Und ich habe es genossen, den verschiedenen Stimmen der Schauspieler zuzuhören. Dieses Stimmenorchester, das da aus den Texten entstand, war toll. Es war überhaupt alles klasse.
    Die Aufführung selbst ist auch sehr gut aufgenommen worden, vom Publikum und auch von der Presse. Ich hatte vorher ein paar Interviews gegeben und viele haben wahrscheinlich gedacht: »Siehste wohl, jetzt haut er wieder auf die Pauke.« Aber das ist alles sehr gut ausgegangen, weil die Leute wohl kapiert haben, dass es bei der Inszenierung nicht nur um mich geht. Keine Rede vom exhibitionistischen Schlingensief oder so.
    Klar forme ich mein Leiden, klar gehe ich von meinen Erfahrungen aus, was soll ich denn sonst tun? Wenn man Krebs hat, ist das nicht schön, aber man muss doch damit umgehen lernen und mit diesem Zustand weitermachen. Ich kann
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