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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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immer wieder gesagt und es kam mir noch nicht einmal besonders viel vor. Und jetzt sitze ich bei meiner Mutter in Oberhausen und erkläre ihr, Mama, stell dir mal vor, dieses Weihnachten kann tatsächlich das letzte sein. Als ginge es um Weihnachten – aber solche Tage sind nun einmal Markierungen. Und dann überlege ich mit ihr, was mit dem Erbe passieren soll, wenn ich vor ihr sterbe, wie man das aufteilt, damit sie versorgt ist. Ich muss jetzt tatsächlich schauen, dass meine Mutter versorgt wird, wenn ich früher gehen muss als sie – und kann diesen Vorgang kaum verstehen. Es ist so absolut bitter, begreifen zu müssen, dass man dieses Leben bald nicht mehr leben kann.
    Auch der Gedanke, nicht mehr erleben zu dürfen, wie es ist, alleine auf der Welt zu sein, ohne Eltern, quält mich. Ich liebe meine Mutter wirklich sehr, und ich glaube, wenn ich gesund wäre, würde ich mich auch sehr amüsieren über ihre Art, die sie jetzt im Alter hat. Wie sie da in ihrem Rollstuhl thront, Spaß am Essen hat, komische Bemerkungen macht, weil sie seit ihrem Schlaganfall manchmal Anschlüsse im Kopf verliert und woanders weiterredet – sie ist eine wunderbare, ein bisschen skurrile alte Frau geworden, von der ich viel in mir habe, glaube ich. Das ist toll zu sehen.Aber ich hätte eben auch gerne erlebt, wie es sich anfühlt zu sagen: Ich bin jetzt alleine auf der Welt. Meine Großeltern sind gegangen und meine Eltern sind gegangen, und ich bin noch da. Und nach mir wird dann eben noch dieser Tisch hier da sein, den mein Großvater schon hatte, dann meine Eltern und nun ich. Irgendetwas wird auch von mir übrig bleiben, und sei es ein Gedanke oder ein Geruch oder was auch immer, da glaube ich fest dran.
    Eigentlich habe ich ja das große Los gezogen in diesem Leben, weil ich kreativ sein durfte, weil ich mir alles Mögliche ausdenken konnte und mir so vieles geschenkt worden ist. Immer wieder kamen neue Bilder, neue Gedanken, neue Texte – das war wie ein Füllhorn, aus dem ich fast pausenlos schöpfen durfte. Und ich habe ja auch schon versucht mir zu sagen, dass ich jetzt eben genug Geschenke bekommen habe. Trotzdem würde ich so gerne noch weiter herumfahren und gucken und sammeln. Auf der Erde kann man so viel machen, das ist doch ein  sensationeller Ort. Man kann Frieden schließen, man kann die Natur achten, man kann Menschen lieben, man kann Menschen helfen, man kann einfach alles tun. Dass wir es nicht geregelt bekommen, dafür kann doch die Erde nichts. Da muss man sich doch trotzdem immer wieder sagen: Wir haben die Freiheiten, wir könnten alles so gestalten, dass es gut wird, wir könnten es wirklich. Und ich könnte es auch. Ich frage mich nur immer wieder, ob ich auf dem richtigen Gebiet gearbeitet habe, ob ich meine Talente richtig eingesetzt habe oder ob dabei nur irgendein Filmquatsch rausgekommen ist, der nichts bedeutet. »Egomania« ist vielleicht ein Film, von dem ich sagen kann, dass er etwas bedeutet, weil er eine Geschichte über die Liebe erzählt, die unerfüllte Liebe, die Hassliebe, die verbotene Liebe … Ach, ich weiß es nicht.

    Denk den Gedanken weg – wie denn, was denn, wohin denn?

    Quält dich ein Gedanke, dann denk ihn weg. Ja, schön gesagt, prima. Viel Spaß. Kann einen erleuchten mit zwanzig, kann man sagen: Super, so mach ich das.M Aber inWahrheit:Was soll das? Denk ihn weg – wie denn, was denn, wohin denn? Jetzt, wo ich immer mehr an das Ende denken muss, mir überlege, ob ich mein Leben gut gelebt habe, mir auch Vorwürfe mache, nicht genug für andere getan zu haben, fällt mir auf, wie viele Schwarzmaler im Christentum unterwegs sind. Leute, die eigentlich nur so düstere Botschaften verbreiten, sie aber unter der sogenannten Frohen Botschaft verstecken. Eigentlich steckt hinter dieser Freudenfassade des Christentums etwas sehr Grausames. Das ganze System ist falsch: Angeblich feiert man das Leben, die Schöpfung, aber ununterbrochen wird mit dem Sensenmann gedroht.
    Nachdem ich mich zum Beispiel im Herbst zum ersten Mal öffentlich geäußert habe, dass ich mich inzwischen wieder ganz gut fühle und glücklich bin, dass ich bei der RuhrTriennale arbeiten kann, erschien so ein Artikel in einer katholischen Zeitung – ich habe sie immer »Todesbote« genannt, klingt natürlich erst mal wieder wie ein Witz, sprudelte aber wirklich wie ein Freud’scher Versprecher aus mir raus. Die Zeitung heißt wohl »Tagespost« und wird von der katholischen Kirche herausgegeben. In dem
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