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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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was du jetzt hast, Fülle spüren, aus dem Weiterwurschteln und Basteln. Und zwischendurch sagst du dir: Ich kann jetzt nicht mehr, ich muss mich hinsetzen. So muss es dann eben sein. Vielleicht schaffst du es ja, Christoph. Gib dir Mühe und einen Ruck. Überall wird gebastelt, und auch du bastelst wie ein Kind einfach weiter. Das ist doch schon mal was. Das ist doch schon mal sehr schön.

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    Mittwoch, 3. Dezember
    Nun ist fast ein Jahr seit der Diagnose vergangen – und eine lange Zeit, seitdem ich das letzte Mal in mein Diktiergerät gesprochen habe. Leider bin ich nicht so gut drauf, wie ich es gerne hätte. Der Krebs ist wieder da. Vor drei Wochen haben die Ärzte bei einer Routineuntersuchung festgestellt, dass ich in dem Lungenflügel, der mir nach meiner Operation geblieben ist, mehr als zehn erbsengroße Metastasen habe. Sie sind rasend schnell gekommen, keiner hat mit dieser Schnelligkeit gerechnet. Das sieht nicht gut aus.
    Jetzt muss ich eine Tablette schlucken, die den Metastasen ihre Versorgungswege abschneiden und ihr Wachstum hemmen soll. Ob das klappt, weiß man noch nicht. Und obwohl ich erleichtert bin, dass man beim MRT keinerlei Metastasen im Gehirn entdeckt hat, bin ich seitdem fast nur noch fähig, daran zu denken, was für eine wahnsinnig beschissene Sache das alles ist. Ich will nicht sagen, dass ich das nicht schon vorher wusste, aber ich glaube inzwischen, man lernt bis zum Schluss, wie beschissen diese Krankheit ist.
    Die Wochen vor dieser Nachricht war ich so guter Dinge. Nach der Strahlentherapie, die mich fast noch mehr angestrengt hatte als die Chemo, weil ich kaum noch Kraftreserven besaß, war es so schön, in die Welt zurückzukehren, wieder arbeiten zu können, aber auch ganz normale Dinge des Lebens zu genießen: mit Aino Hand in Hand spazieren zu gehen, ein Stück Pflaumenkuchen zu essen, mit dem Auto durchs Ruhrgebiet zu fahren, die Farben der Natur zu bewundern. Aino und ich dachten, wir könnten jetzt noch zwei, drei Jahre so durch die Gegend laufen, vielleicht auch länger – und dann kommt ein solcher Schlag ins Kontor.
    Dass diese gute Zeit schon wieder vorbei sein soll, hätte ich wirklich nicht gedacht. Aino auch nicht. Dass mich etwas so gnadenlos auffrisst, konnte sie sich nicht vorstellen. An dem Abend nach der Kopfuntersuchung hat sie weinen müssen wie noch nie in unserer ganzen Beziehung. Sie saß in der Küche und kämpfte gegen die Tränen. Ich lag schon im Bett und habe irgendwann gerufen:Wo bleibst du denn? Komm doch, bitte! Sie kam dann auch, konnte aber nicht mehr an sich halten und hat bitterlich geweint. Dass ich nicht sterben darf, dass sie mich nicht verlieren will, dass wir doch zusammengehören und sie noch ganz viel mit mir erleben will, hat sie gesagt.
    Ich bin sehr ruhig geblieben an diesem Abend, habe sie im Arm gehalten und war auch traurig, aber ich habe nicht geweint. Ich hatte das Gefühl, sie kommt zu mir, um von mir beschützt zu werden, und da wollte ich ihr ein Partner sein, der stabil und ein bisschen kräftig ist. Habe ich auch geschafft. Klar hätte ich heulen können, aber ich wollte ihr Halt geben, wollte ihr zeigen, dass ich sie trotz allem beschützen kann, wollte sie beruhigen, dass alles gut wird und dass wir zusammenbleiben. Irgendwann ist sie dann auch eingeschlafen.
    Für Aino ist es ja eine irre Anstrengung, das alles durchzustehen und durchzuhalten. Aber sie hat die letzten Monate wirklich alles gemacht, mich überall hingefahren und begleitet, mich mit einer unglaublichen Liebe immer wieder aufgemuntert: Komm jetzt, du schaffst das, wir schaffen das. Dass ich sie an meiner Seite habe, ist ein solches Glück. Sonst würde ich wahrscheinlich als größter Pessimist aller Zeiten von der Welt gehen.
    Im Moment brauche ich nur an irgendetwas von Aino zu denken, an ihre Schuhe oder ihre Jacke, ein Foto von ihr anzusehen – und es zerreißt mich. Ich meine, wenn ich sterben muss, muss ich eben sterben. Das kann ich mir jetzt ungefähr vorstellen. Das ist zumindest greifbarer geworden, aber Aino ist diejenige, die bleiben muss, die ich alleine lassen muss. Ist natürlich anmaßend, mir Gedanken darüber zu machen, wie alleine sie sein wird, wenn ich weg bin. Aber solche Gedanken sind nun einmal auch da, wenn man ahnt, dass man bald losmuss, alleine, irgendwohin.

    Inzwischen bin ich fast sicher, dass ich nicht mehr viel Zeit haben werde auf der Erde. Ich wollte noch 35 Mal Weihnachten feiern. Das habe ich mir am Anfang
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