Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der die Frauen belog - Roman

Titel: Der Mann, der die Frauen belog - Roman
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Prolog
    D er Regen trommelte auf die Plastikhaube ihres Regenmantels. Sie spürte die Tropfen, hörte sie aber nicht, denn sie war heute Vormittag ohne Hörgerät und ihre Bifokalgläser aus dem Haus gegangen. Ihre Umgebung war traumstill und segensreich unscharf, keine Kippe, kein Bonbonpapier verdarb ihr Landschaftsbild.
    Ein Geruch nach nassem Hundefell zog rasch an ihr vorüber. Noch ehe sie das Tier genauer hatte erkennen können, war es schon vorbei und lief den steilen, buschbestandenen Grashang hoch. Cora kniff die Augen zusammen. Die Hundeleine hatte sich offenbar in den Brombeerranken verfangen. Angstvoll zerrte und zuckte das Tier, bis es wieder freikam, lief weiter und war gleich darauf hinter dem Scheitelpunkt der Anhöhe verschwunden.
    Cora steckte eine windverwehte weiße Strähne wieder unter die Kapuze, und der jägergrüne Regenmantel machte sie inmitten der noch recht kräftig gefärbten Büsche und Bäume an diesem dezembergrauen Tag fast wieder unsichtbar.
    Sie sah auf die Uhr. Eigentlich war es Zeit umzukehren, aber mit Rücksicht auf ihre alten Knochen, die ihr den Gang durch den Regen übelnahmen, setzte sie sich noch kurz auf eine der einladend am Parkweg aufgereihten Bänke, auf deren grünem Lack die Regentropfen perlten.
    Nur weil es regnet, fühle ich mich im Park sicher, versuchte sie ihre protestierenden Knochen zu beruhigen. Bei schlechtem Wetter sind bestimmt nicht so viele Handtaschenräuber unterwegs, und in dieser Herrgottsfrühe finden die sowieso nicht aus dem Bett.
    Trotz guten Zuredens reagierte der Arm, den sie auf die Banklehne legte, mit einem stechenden Schmerz. Gleich darauf spürte sie ein Kribbeln auf ihrem Handgelenk. Etwas Dunkles bewegte sich über die weiße Knitterhaut. Sie senkte den Kopf, bis der kribbelnde dunkle Fleck nur Zentimeter von ihren kurzsichtigen blauen Augen entfernt war, und sog dann scharf die Luft durch ihre langen, gelblichen Zähne.
    Es war ein Aaskäfer, auch Totengräber genannt, ein langlebiges Insekt, das ungeniert Leichenschändung betreibt. Aber der hier kam entschieden zu früh. Auch für ihn galten gewisse Naturgesetze. Die alte Frau, die er sich ausgesucht hatte, atmete schließlich noch. Vielleicht hatte ihn das für die Jahreszeit zu milde Wetter verwirrt. Tut mir leid, mein Freund, da musst du schon noch mal wiederkommen!
    Jetzt aber geriet ein zweites Krabbelwesen in Coras eingeschränktes Blickfeld, das auf acht Beinen zielstrebig den Käfer verfolgte.
    Von Rechts wegen hätte dieser Gliederfüßer aus der Klasse der Arachniden im Herbst sterben und von den eigenen Kindern aufgefressen werden müssen. Die Spinne hatte sich selbst überlebt, war jetzt, im Dezember, fehl am Platz. Inzwischen hatte sie sich ihrer Beute bis auf zwei Zentimeter genähert.
    So viel Gewalttätigkeit am frühen Morgen – das war zu viel!
    Die alte Dame schüttelte mit einem entschlossenen Ruck den Käfer ab. Die plötzliche Bewegung ließ die Spinne innehalten, dann machte sie kehrt und zog mit acht leeren Händen davon.
    Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung, dachte Cora. Sie sah auf die weite Fläche des Sees hinaus, in dem sich der graue Himmel spiegelte. Dann ging ihr Blick zurück zum Ufer. Hier, in der Nähe des Parkwegs, verengte sich das Gewässer zu einem stillen, dunklen Seitenarm. Am Ufer standen zwei dunkle Regenschirme, die sich offenbar miteinander unterhielten.
    Der größere Regenschirm hatte lange braune Hosen an und der kleinere blaue Jeansbeine. Jetzt wich der Regenschirm mit den Jeansbeinen zurück, unter dem großen Regenschirm schoss eine weiße Hand hervor und zog Jeansbein wieder zu sich heran.
    Cora lächelte. Ein junges Liebespaar – und vermutlich ein heimliches Rendezvous. Unter dem großen Regenschirm erkannte sie verschwommen ein weißes Gesicht, das argwöhnisch mal in die eine, mal in die andere Richtung sah. Die Hand hielt das Jeansmädchen fest, das wegzustreben schien. Goldenes Haar leuchtete auf, als Jeansmädchens Regenschirm nach hinten kippte und ihr aus der Hand flog. Er landete mit der Rundung nach unten im Wasser, der Griff zeigte himmelwärts wie ein Mast ohne Segel. Eine jähe Regenbö ließ ihn erst langsam, dann immer schneller kreisen.
    Der große Regenschirm beugte sich vor, hob etwas auf und schien es dem Jeansmädchen zu zeigen. Dann machte er mit ihr eine halbe Drehung und entzog sie damit Coras Blick.
    Vielleicht ein Geschenk, dachte Cora und kniff die Augen zusammen. Das Jeansmädchen schien sich zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher