Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
Vom Netzwerk:
völlig unterschiedlich reagieren. Das wurde mir oft angekreidet, weil ich ja die ganze Zeit dastand als derjenige, der diese Überblendungen angezettelt hat. Es gab bestimmt genug Sachen, die ich gemacht habe, wo die Kritiker recht hatten. Vielleicht habe ich den Kern, den ich verfolgt habe, nicht immer ernst genug genommen, nicht richtig spüren können. Weil ich bei all den Projekten letzten Endes doch immer auf ein Ergebnis angewiesen war, das im besten Fall eine Belohnung mit sich brachte.

    Quält der Gedanke dich, dann denk ihn weg.
     
    Diesmal wird das Ergebnis aber die Öffnung zu einem Weg sein, der noch gegangen werden muss, in welcher Form auch immer. Ich kann also jetzt nicht einfach sagen, ich warte auf das Ergebnis, gut oder schlecht. Im Negativen würde es bedeuten, man muss Dinge durchmachen, erleben und aushalten – die Dimension kann ich ja überhaupt noch nicht ermessen. Das andere Ergebnis wäre eben, es geht gut aus. Dann gilt es, nicht zu vergessen, was man in den letzten zehn Tagen durchgemacht und gedacht hat. Sich zu erinnern, an wie vielen Punkten man Klärung wollte, wo keine war, wie viele reinigende Momente man aber auch erlebt hat.
    Ich möchte die letzten zehn Tage wirklich nicht missen. Das hört sich vielleicht komisch an, aber sie haben mit ihren Höhen und Tiefen mehr geklärt als alles zuvor.Wobei interessant ist, dass die Fragen »Warum ich?« oder »Was soll das?«, diese Fragen nach dem Spirituellen, sich mir bis jetzt nicht gestellt haben. Es kommt mir eher wie ein Umdenken vor. Und diese Aufzeichnungen sollen meine Gedanken jetzt erst einmal sammeln. Wobei nicht wichtig ist, wann welcher Befund kam. Das finde ich uninteressant. Und auch keine psychologischen Vorträge. Die folgen vielleicht noch. Mir erscheint es wichtig, in mein Diktiergerät vor allem Gedanken zu sprechen, die mir gekommen sind. Quält der Gedanke dich, dann denk ihn weg.

    Habe mir heute ein Buch gekauft: »Die Bibel. Was man wirklich wissen muss« von Christian Nürnberger. Das lese ich jetzt, weil ich merke, dass ich die wichtigen Geschichten vom Alten und Neuen Testament gar nicht mehr kenne, obwohl ich Messdiener war und Religionsleistungskurs hatte. Meine Mutter erzählte mir eben, sie hätte das Alte Testament immer geliebt. Und ich weiß nichts darüber, habe das alles irgendwie verschluckt. Keine Ahnung, warum das so ist. Jetzt habe ich angefangen, über Abraham und Isaac zu lesen, über den Exodus, über das Umdenken. Wenn man sich das vorstellt: Die Frau von Abraham war 76 Jahre alt, und Gott hat Abraham trotzdem so viele Kinder wie Sterne am Himmel versprochen. Und dann sind sie von einem Land ins nächste gezogen, und nichts ist passiert. Das muss man sich mal vorstellen.
    In dem Buch von Nürnberger stehen jedenfalls zwei, drei beeindruckende Sätze. Er schreibt: »Gott fordert, dass der Mensch darauf verzichtet, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Nur dann, wenn genügend Freiwillige bereit sind, sich auf diese ungeheure Forderung einzulassen, kann Gottes Plan gelingen. Weil diese Forderung so groß und die menschliche Bereitschaft, ihr zu entsprechen, so klein ist, darum harrt Gottes Plan bis heute seiner Erfüllung.« Und hier kommt der andere Satz: »Der Mensch glaubt nicht, dass er das Leben gewinnt, wenn er es drangibt. Daran scheitert Gottes Utopie.«
    Tja, das Leben drangeben, um zu leben …

    Ich will einmal ganz alleine sein. Alleine auf der Welt.
     
    Ich bin heute auch noch einmal zum Grab meines Vaters gegangen. Es war schon duster, hat geregnet, und ich habe da gestanden und mich bei ihm entschuldigt für das, was ich gestern über den Zaun gerufen habe. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten im Krankenhaus, ich musste einfach mal raus. Da bin ich in eine Pizzeria und habe eine ganze Flasche Wein und zwei Grappa getrunken. Danach bin ich ziemlich angeheitert und schwadronierend durch die Straßen gelaufen. Irgendwann landete ich beim Friedhof, wo mein Vater liegt. Weil dort nachts abgeschlossen ist, habe ich über eine Mauer rübergebrüllt. Ich habe ihn richtig angeschrien: Was fällt dir ein? Was denkst du dir überhaupt? Was ist da überhaupt los?
    Da ist mir klar geworden, dass ich im Kern gerne mal alleine auf der Welt wäre. Obwohl ich meinen Vater und auch meine Mutter sehr liebe: Wenn meine Mutter mal tot ist, dann bin ich zum ersten Mal alleine auf der Welt. Dann bin ich in Eigenverantwortung. Ich will einmal ganz alleine sein.Alleine auf der Welt. Ich will alleine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher