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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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fühle mich geborgen in dir, ich lasse mich fallen und glaube an das Gute, an einen gutenAusgang in Frieden. Damit meine ich, dass man vielleicht irgendwann in einen Zustand kommt, in dem die irdischen Dinge, die man alle so liebt, keine Bedeutung mehr haben.Vielleicht haben sie ja noch Bedeutung, aber diese Beurteilungsebene, warum bin ich nicht erfolgreich, warum kann ich das nicht haben, warum ist dieses und jenes nicht, ist nicht mehr wichtig. All diese menschlichen, erdverbundenen Dinge stehen dann plötzlich in einem anderen Kontext. Ich glaube wirklich nicht, dass Jesus gerufen hat: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Diesen Satz hat er nicht gesagt, davon bin ich fest überzeugt. Das ist einfach Quatsch. Das ist nicht das Zeichen: Ja, ich bin auch so schwach wie ihr. Ich glaube, er ist einfach ganz still da oben gehangen, hat Aua gesagt und was weiß ich, aber er hat nie denVorwurf gemacht, dass man ihn verlassen hat. Er hat einfach gesagt: Ich bin autonom.
    Dass da Gott am Kreuz hängt und sagt: Gott, warum hast du mich verlassen, fand ich ja eigentlich toll. Das ist ja menschlich, dass er diese Ohnmacht, diese Weichheit und Unfähigkeit ausspricht, dachte ich. Inzwischen habe ich aber das Gefühl, dass der Auftrag seit Abraham eigentlich ist, die Dinge alleine zu machen. Zum Beispiel wenn die Frau 76 Jahre alt ist, trotzdem noch loszuziehen und zu sagen, irgendwann werden wir ganz viele Kinder haben. Eine andere Chance hat man ja nicht. Man kann nur sagen, ich bin jetzt 47 und ich werde noch 96 Kinder zeugen. Das ist irreal, aber ich mache es einfach und ziehe es durch. Wenn ich am Kreuz hänge und mich frage, warum ich verlassen wurde, habe ich mich ja doch auf jemand anderen bezogen. Das sind so Gedankenfetzen, die in meinem Kopf zurzeit rumkreisen. Ich kann das auch nicht besser beschreiben, es ändert sich jeden Tag.
    Meine Beziehung zu Gott hat sich jedenfalls aufgrund der extremen Situation verändert. Man wundert sich, wie schnell das geht: Man hat sich von der Kirche abgewendet, und plötzlich ist man wieder da. Aber ich bin eigentlich gar nicht bei der Kirche. Mit diesem ganzen Brimborium kann ich nichts anfangen, mit dieser ganzen aufgeblasenen Veranstaltung, die glaubt, sie könne mir bei meiner eigenen Unfähigkeit, autonom zu werden, helfen, indem sie mir Traumschlösser baut oder Leidenswege beschreibt, die ich gehen muss, damit ich endlich zu mir finde. Das ist es nicht. Sondern ich will mehr wissen über Jesus, mehr wissen über den Gedanken Gottes und über das Prinzip Leben, zu dem auch das Sterben gehört, das Sterben, zu dem auch das Leben gehört. Darüber nachgedacht zu haben, ist eigentlich schon das Größte, was in diesen zehn Tagen passieren konnte.
    Ich habe jetzt vor dieser PET-Untersuchung ein bisschen Lampenfieber, aber eigentlich bin ich guter Dinge und wünsche mir, mich in diese Stimmung übergeben zu können, die ich vor ein paar Tagen hier unten in der Krankenhauskapelle gespürt habe. Als ich einfach in der Wärme geborgen und beschützt war. Und natürlich bitte ich alle Kräfte, die so herumfliegen, und alle Dinge, die sich miteinander besprechen oder miteinander zu tun haben, dass sie mich auf einen guten Weg schicken. Und wenn es ein Weg wird, auf dem man mit Schmerzen, Kämpfen und aussichtslosen Situationen konfrontiert wird, ja, dann ist das so.
    Aber ich kann das natürlich nicht wirklich so sagen. Ich kann das nicht. Das fällt mir schwer. Ich kann nicht sagen, ja, dann soll das geschehen. Nein, ich will leben. Ich will auf alle Fälle leben. Aber nicht, um wieder in diesen blinden Trott zu verfallen, noch schneller, noch mehr, sondern ich will ein Leben leben, das einen Sinn ergibt und sich den Menschen nähert.

    Ich stehe am Zaun meines ehemaligen Kindergartens in Oberhausen und warte auf Aino, die noch im Krankenhaus ist, weil der Radiologe noch einmal das CT anschauen will. Nach der ersten Auswertung sagte er, das sei zu hoher Wahrscheinlichkeit ein Tumor. Und er hat noch einen zweiten entdeckt. Die Leber und das Skelett seien aber okay. Um Gewissheit zu haben, müsse man noch punktieren.
    Ich habe das eigentlich alles sehr kühl aufgenommen. Das war für mich heute der Stichtag. Ergebnis ist: Tumor.
    Jetzt reden zwar wieder einige, das könnte auch etwas anderes sein. Ich selbst hätte das natürlich auch gerne. Bringt alles nix. Ich kann noch tausend andere Wünschelrutengänger über mich laufen lassen, aber es geht jetzt darum, Tatsachen zu schaffen
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