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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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und keinen Blödsinn mehr zu verzapfen, nicht rumzujammern, o Gott, das wird ja nichts, oder o Gott, hoffentlich wird das was. Sondern da ist jetzt der Beweis: Da drinnen lebt ein unangenehmer Zeitgenosse. Ein Dreckskerl.
    Aber ich habe Glück gehabt, dass er durch meinen Husten zufällig so früh entdeckt worden ist. Das hatte sich dieser Drecksgenosse wahrscheinlich anders ausgedacht. Deswegen hat der da drin einfach Pech gehabt. Denn auch wenn er jetzt Gas geben sollte – er ist früh genug gesehen worden. Jetzt lasse ich da reinpieksen, dann habe ich alle Befunde zusammen. Dann habe ich den Pathologen an der Leitung, und der wird mir sagen, das ist bösartig, das ist gutartig, das ist Entzündung, das ist Hefe, das ist der Tod oder ich weiß nicht was. Und wenn man endgültig weiß, das ist ein Drecksgenosse, dann fahre ich nach Berlin, mache am Wochenende in der Wohnung noch Klarschiff mit meiner Mannschaft und bespreche, was zu tun ist. Am Montag geht es dann in die Klinik in Zehlendorf, da lasse ich mich sofort operieren. Das Ding kommt raus. Und dann wollen wir mal sehen, wie wir das alles in den nächsten zwanzig Jahren organisieren. Wenn dann noch was kommt, dann wird das beseitigt. So nehmen wir das jetzt an. Und wenn wir mal heulen müssen, dann müssen wir auch mal heulen.

    Die Angst ist gelandet.
     
    Komischerweise bin ich heute Abend immer noch richtig stabil. Nach dem Gespräch mit den Ärzten war ich mit Aino Nudeln essen. Sie hat mir mal so richtig die Meinung gesagt: »Du bist wie dein Vater, lebst im Konjunktiv, was wäre wenn und es könnte sein, dass … Kannst du jetzt echt mal mit aufhören. Du bist in der Gegenwart, und du willst eine Realität, und dann reagierst du.«
    Seitdem habe ich einen klaren Kopf. Ich will das jetzt wissen. Antje hat den richtigen Satz gesprochen: Die Angst ist gelandet. Ja, meine Angst ist gelandet. Ich gehe heute Abend davon aus, dass ich Krebs habe. Das ist fast eine Erleichterung. Ich war die letzten Tage ja kurz vorm Überschnappen, weil ich mich in dieser Ungewissheit befand und all diese Fantasien losgingen. Auch durch diese Halluzinationen, die ich durch die Infusionen gegen den Pilz in meiner Lunge hatte. Ich lag bei Aino im Arm, hatte die Augen zu und sah plötzlich ein wahnsinniges Durcheinander an Bildern: Da waren irgendwelche Ritterburgen, dann bin ich an ganz großen Ornamenten vorbeigefahren, dann war ich plötzlich im Totenzimmer meines Vaters. Zwischendurch habe ich immer wieder die Augen aufgemacht, Aino gesehen und gesagt: »Das ist merkwürdig.Was ist denn das? Da sind so Bilder. Und ich träume ja nicht. Du bist doch da.« Dann habe ich die Augen wieder zugemacht und ein hässliches Gesicht gesehen, gleich darauf ein wunderschönes, ganz verklärtes Gesicht.Anschließend bin ich durch Räume geflogen, über Dächer, die aussahen wie in Nepal, habe immer alles von oben gesehen. Es endete in einem Wald, der vor mir stand, und im Hintergrund war die Sonne zu sehen. Dann hat sich der Wald bewegt, und ich habe gemerkt, dass das Algen unter Wasser sind, ich war also auch unter Wasser. Das Irre war, dass es am Schluss immer ganz, ganz hell wurde. Und das alles im völligen Wachzustand – das macht einen ja irre, da dreht man durch.
    Heute aber ist die Angst gelandet. Ich weiß jetzt ungefähr, wo es hingeht. Ich will, dass das Ding rauskommt. Bin tatsächlich ein wenig in der Stimmung, die ich vor ein paar Tagen in der Kapelle erlebt habe. Da habe ich geredet, ganz leise vor mich hin geredet, obwohl niemand anderes da war. Habe gefragt, wie ich wieder Kontakt herstellen kann und wie ich begreifen kann, dass das jetzt ein Bestandteil vom Leben ist. Und ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich mir dabei schon wieder selbst zugehört habe. Nach einer Zeit hat mir irgendjemand einfach die Stimme abgeschaltet. Ich bin ganz still geworden und habe hochgeguckt, da hing das Kreuz, und in dem Moment hatte ich ein warmes, wunderbares, wohliges Gefühl. Ich war plötzlich jemand, der sagt: Halt einfach die Klappe, sei still, es ist gut, es ist gut.
    Mir fällt auf, dass ich so viele Sachen gemacht und wieder umgedreht habe, so viele widersprüchliche Gedanken gedacht und andere Leute dazu angestachelt habe, dass ich meinem eigenen Denken nicht mehr traue. Ich bin eigentlich ein Produktionsfaktor, ich treibe andere an und freue mich, wenn meine Gedanken durch andere durchgehen, und trotzdem:Wenn es um mich geht, dann bin ich plötzlich Zuhörer, Beobachter
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