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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Autoren: Christoph Schlingensief
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dastehen und alleine sagen, so, das ist mein Leben. Und dann heul ich und dann bin ich völlig fertig mit den Nerven, aber dann bin ich wenigstens einmal ganz alleine.
    Weil ich gestern Nacht rumgebrüllt habe, dass er das doch nicht ernst meinen kann, dass er was tun soll, habe ich mich jedenfalls heute bei meinem Vater entschuldigt. Ihm aber auch gesagt, dass ich diese schwarze Energie, diese schwarzen Felder nicht will. Dass ich vor allen Dingen nicht in diesen Pessimismus reinrutschen will, den ich bei ihm irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Ganz aufgewühlt war ich. Und dann habe ich versprochen, dass ich eine Kirche, eine Schule, ein Krankenhaus und ein Theater, ein Opernhaus, in Afrika bauen werde, wenn das hier gut ausgeht. Das habe ich wirklich als Gelübde am Grab meines Vaters abgelegt. Dreimal habe ich angesetzt, dreimal konnte ich es nicht sagen, aber dann habe ich es wirklich ausgesprochen: »Ich verspreche euch …«
    Es war ein total schöner Moment. Und dann – das hört sich jetzt spinnert an –, aber in dem Moment, als ich das gesagt hatte, wurde der Himmel so rot wie der Brokatstoff in den Bildern, die ich vor ein paar Tagen bei diesen Halluzinationen gesehen hatte. Das war wahrscheinlich Abstich in Duisburg, aber ich will so Sachen eben gerade sehen. Das kann einem albern vorkommen, aber dieser kurze Moment, als der Himmel direkt über mir rot wurde, war ein Zeichen für mich. Zum Schluss habe ich noch gesagt: »Ich will das machen, da kann mich keiner dran hindern.« Das war natürlich anmaßend, aber gemeint ist, dass ich das wirklich machen will.
    Bin jetzt schon ein bisschen im Dämmerzustand, habe eine halbe Valium genommen, damit ich ein bisschen entspannter bin und nicht die ganze Nacht rumknobele. Das bringt ja nix. Also, dann trink ich morgen mal ein bisschen Nuklearmedizin, und dann sehen wir mal, was da flackert.

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    Mittwoch, 16. Januar
    Gestern Abend habe ich noch gebetet. Das habe ich ewig nicht mehr gemacht. Wobei mir vor allem dieses leise Sprechen, das Flüstern mit den Händen vor dem Gesicht, gutgetan hat, so wie nach dem Empfang der Hostie, wenn man bei sich ist und den eigenen Atem hört und spürt. Ich habe mir selbst zugehört, die Angst in meiner Stimme gehört. Einen Moment zu haben, wo nicht alles schon wieder auf der Bühne oder auch im Leben ausgesprochen ist, so eine Grenze, eine Hemmung zu spüren, ist ganz wichtig und richtig. Dennoch habe ich gerade bei dieser Scheiße hier keine Lust, alles in mich reinzufressen, immer nur alles nach innen zu kehren. Gestern habe ich auch mit meiner Mutter darüber geredet, dass ich wohl sehr viel von meinem Vater habe, dass er aber seine Sache, zum Beispiel seine Ängste wegen der Erblindung, nicht herausschreien konnte. Er konnte sich nicht entäußern, so kommt es mir jedenfalls vor.
    Die Träume von heute Nacht kann ich gar nicht beschreiben, aber es waren wieder zusammenhängende Geschichten und keine Bilderfluten mehr wie in den letzten drei Nächten, als dieses Antipilzpräparat so komische Halluzinationen erzeugt hat. Das waren Bilder, die mich nicht berührt haben, die aber permanent da waren.
    Heute Morgen bin ich von Geräuschen draußen auf dem Gang wach geworden und habe noch ein bisschen im Dunkeln gelegen. Da merkt man, wie einem wieder diese Angst in die Knochen schießt, dass das der Tag sein könnte, an dem entschieden wird, ob ich diesen Leidensweg gehen muss, diesen Weg mit vielen Beratungen und Behandlungen. Und die Frage tauchte auf, ab wann der Wille zu leben am Ende ist. Nicht am Ende, sondern an dem Punkt, wo der Wille sich einfach ergibt und sagt, ja, so ist es. Diese Frage ist mir heute Morgen in den Kopf geschossen und hat mich sehr berührt. Ich überlege auch, ob ich mir noch etwas gegen die Angst geben lasse, wenigstens für heute. Vielleicht ist das ja berechtigt. Dann denke ich wieder an Jesus, der beim letzten Abendmahl schon alles gewusst hat. Er wusste, dass er anschließend verraten wird, dass er den Weg zum Kreuz gehen muss. Das hier ist natürlich kein Verrat, aber doch ein Gang, der quält. Vielleicht war Jesus an dem Abend aber noch in verhältnismäßiger Ahnungslosigkeit, eher in einer Phase der langsamen Bewusstwerdung, dass er sich schon längst auf dem Weg befindet.

    Jesus hat einfach nur gesagt: Ich bin autonom.
     
    Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich glaube nicht, dass Jesus diesen Satz gesagt hat. Ich habe das Gefühl, dass das eher hieß: Mein Gott, ich
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