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Sister Sox

Titel: Sister Sox
Autoren: Max Bronski
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angesehen. Jetzt spürte ich, wie sich der Dicke an meinem Kragen festgekrallt hatte, um mich hochzuziehen.
    – Halt’s Maul, sonst häng ich dich an der Lampe oben auf.
    Bei solchen Typen durfte man nicht lange fackeln. Den ersten Schlag versenkte ich in seiner Wampe. Er rumpelte gegen die Holztäfelung, die aussah wie ein Saunaverschlag. Den zweiten setzte ich unters Kinn. Er sackte nach unten weg und kam, abgefedert durch seinen fetten Arsch, auf dem Boden an. Der Kopf fiel ihm zur Seite, und so blieb er ruhig und friedlich hocken. Ich packte Iris an der Hand und zog sie aus der Kneipe. Die anderen Zecher machten erschrocken Platz.
    – Ich kann doch den Erwin nicht so sitzen lassen.
    Iris begann zu weinen.
    – Pia hat angerufen, sie ist in Schwierigkeiten. Und ich weiß noch nicht mal, wo sie wohnt, schrie ich sie an.
    – Dr.-Friedl-Straße 15.
    Ich zog einen 20- Euro-Schein aus der Tasche und gab ihn Iris.
    – Versauf ihn wenigstens alleine, ja.
    Iris sah an sich herunter und rubbelte mit dem Ärmel an ihrem ehemals rosafarbenen T-Shirt, als könne sie es auf die Schnelle noch sauberer kriegen.
    – Tut mir Leid, ich wusste ja nicht, dass du kommst.
    Ich ging zu meinem Bus hinüber. Auf dem Trittbrett stand der kleine Raucher. Er guckte nach innen, ob es etwas zu holen gab.
    – Weg mit dir, Junge.
    Er sprang vom Trittbrett herunter.
    – Hast du eine Fluppe?
    – Nur Selbstgedrehte.
    – Her damit.
    Ich gab ihm die Zigarette, die ich hinters Ohr gesteckt hatte. Der Kleine zog sie unter seiner Nase durch, um sie zu beschnuppern. Dabei legte er schwarze Vorderzähne frei. Roger Rabbit aus dem Schornstein.

5
    Ich fuhr an der Isar entlang und dann über die Tierparkbrücke Richtung Grünwald. Es gab keinen Zweifel, ich hatte zweimal nachgesehen: Die Dr.-Friedl-Straße war in Grünwald. Pia lebte inzwischen bei den Reichen und Schönen. Die Brücke war komplett eingenebelt. Es herbstelt, sagt der Münchner in solchen Fällen gern. Aber hier herbstelte noch nichts, das waren die Griller. Ein sanfter Südwind blies die Schwaden die Isar hinunter. Am Flauchersteg war ein Massenauflauf. Vor ein paar Jahren war der ganze Steg erneuert worden, weil die Münchner Griller, vom hergeschleppten Bier enthemmt, Holzteile für ihre Nackensteaks, Spareribs und Schweinswürstel herausgebrochen, -gesägt oder -gehauen hatten. Der lang gezogene Steg war in Rauchnebel und Fettdämpfe gehüllt. Im Isarbett hockten sie um Lagerfeuer oder Grillwannen, Schreien, Lachen, hin und wieder gegrölte Gesänge. Wenn man so wie ich schlechte Laune hatte, dann war diese Atmosphäre ziemlich nahe am Weltuntergang. Nichts als ein Haufen Verrückter da unten.
    Ich stellte meinen Bus an der Münchner Straße ab und ging den Rest zu Fuß. Lieferantenverkehr begann erst wieder morgen früh. Hier sollte man besser nicht auffallen, wenn man ungeschoren bleiben möchte. Angeblich gab es bei Halbwüchsigen das Spiel, sich saudimäßig als Araber zu verkleiden und durch Grünwald zu laufen. Gewonnen hatte, wer ohne Schusswunde oder Festnahme am weitesten kam. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich endlich die Dr.-Friedl-Straße erreichte. Ganz oben konnte Pia noch nicht angelangt sein, denn ihre Villa lag eindeutig im Ärzteviertel von Grünwald. Ich schaute über den Zaun. Der Garten war zugewachsen, wenig zu erkennen. Nirgendwo Licht. In der Dunkelheit war kein Namensschild auszumachen. Als ich meine Hand jedoch in die Nähe des Klingelknopfs brachte, schaltete sich automatisch die Hintergrundbeleuchtung ein, und der Name Sockelmann tauchte wie ein Menetekel auf dem Display auf. Ich schellte mehrmals. Sofort schlug ein Hund an. Dem tiefen und kehligen Bellen nach die Bestie von Baskerville. Aber Frauchen schien nicht da zu sein, denn niemand öffnete mir. Auch der Hund gab bald Ruhe, und alles war wieder so dunkel und ausgestorben wie das BND-Gelände in Pullach nach dem Atomschlag. Ich klingelte noch mal. Wieder bellte der Hund. Praktisch auf Knopfdruck. Meinem Gefühl nach bellte er genau so wie zuvor. Eine Kopie. Und er tat das jedes Mal wieder, wenn ich die Klingel drückte. Kein Zweifel, der Hund kam vom Band.
    Warum sich Pia, kaum dass sie ein bisschen Kohle hatte, in dieses scheußliche, öde Viertel hockte, war mir schleierhaft. Ich hätte mir ein paar Goldzähne in den Mund montieren lassen, zwei mollige Frauen angelacht und mich ins Westend, ins Türkenviertel gesetzt. Dann hätten wenigstens einige Leute kapiert, dass ich es zu etwas
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