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Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied
Autoren: Tanja Heitmann
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geriet ihm mal ein Kutter ins Bild, mehr aber nicht.
    Wenn jemand nachfragte, warum ausgerechnet Josh, ein junger und eigentlich geselliger Mann, sich für ein so abseits liegendes Haus entschieden hatte, zuckte er bloß mit den Schultern. »Kostet nicht viel, und außerdem werkle ich gern an dem alten Gemäuer herum, wenn nichts anderes ansteht. Und hier auf Cragganmore steht meistens nichts anderes an.« Das stimmte zwar auch, war aber nur die halbe Wahrheit. Wie die meisten Schotten war Josh Stolz auf sein Land, aber die Liebe, die er für Cragganmore Island und das es umtanzende Meer empfand, ging viel tiefer. Für ihn gab es keinen anderen Ort auf der Welt, den er gegen diesen windumtosten Steinhaufen eingetauscht hätte.
    Wie sehr er Cragganmore brauchte, war ihm in diesem auslaufenden Winter besonders deutlich geworden. Denn mit den sich ankündigenden Frühjahrsstürmen suchte ihn die Ahnung heim, dass es eigentlich das Klügste wäre, der Insel den Rücken zuzukehren. Zumindest für die Monate im Frühjahr. Nur hatte er den Gedanken daran jedes Mal sofort fallengelassen.

    Der Rückweg vom Pub fiel an diesem Abend beschwerlicher aus, als Josh vermutet hatte. Der Weg zu seinem Black House war unbeleuchtet, und er hatte nicht daran gedacht, eine Taschenlampe einzustecken. Im Scheinwerferlicht seiner Triumph war ihm die Straße bestens vertraut, aber zu Fuß, vornübergebeugt gegen den Wind, sah die Sache ganz anders aus. Die Brandung erschien ihm die ganze Zeit über viel zu nah - als würden die Wellen von Mal zu Mal ein Stück näher zu seinen Füßen heranrollen, wenn er gerade nicht hinsah. Die Luft war schwer vom Salz und legte sich auf sein Gesicht, als wollte sie eine Spur auf ihm hinterlassen. Eine Kennzeichnung … Als endlich die weißgetünchten Wände seines Hauses in der Dunkelheit aufleuchteten, verspürte Josh deutliche Erleichterung. Doch erst nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, atmete er aus.
    Es dauerte nicht lange, und ein Feuer brannte im Kamin, den Josh nachträglich eingebaut hatte. In einem Black House gab es eigentlich keinen Abzugsschacht, aber die Vorstellung, wie ein Stück Räucherware zu riechen, war das schlagende Argument gewesen, in dieser Hinsicht mit der Tradition zu brechen. Während sich die wohlige Wärme nach und nach ausbreitete, streifte Josh seine Kleidung ab, bis er nur noch in Jeans und T-Shirt im Wohnraum herumlief. Nach dem Vorbild von Finebirds Cottage hatte er einige Wände herausgerissen, so dass es im Haus nun eine Küche, ein Badezimmer und einen Wohnraum gab, in dem auch sein Bett hinter einem halbhohen Bücherregal stand. Doch dorthin zog es Josh noch nicht, obwohl die Müdigkeit sich bereits bleiern in seinen Knochen ausbreitete. Mit einem Wasserglas voll Whisky hockte er vor dem Plattenspieler und setzte die Nadel auf die Schallplatte auf.
    Ein feines Knacken drang aus den Boxen, dann erklang
die berauschende Akkordfolge von »Ain’t No Sunshine«. Neben der Triumph gehörte das Bill-Withers-Album zu den wenigen Dingen, die er aus dem Nachlass seines Vaters ausgewählt hatte.
    Während Josh es sich im Ledersessel bequem machte und die Beine über eine Lehne baumeln ließ, sann er über das Musikstück nach, das sein Vater so sehr gemocht hatte. Zumindest ging er davon aus, denn in seiner Erinnerung war dieses Lied immer gelaufen, wenn Benjamin Galbraith zu Hause bei seiner Familie und nicht auf See gewesen war. Es gehörte zu einer von Joshs Lieblingsbeschäftigungen, darüber nachzudenken, was seinen Vater daran begeistert hatte. Vielleicht der Rhythmus des Stücks, dem etwas Betäubendes innewohnte? Withers’ einnehmende Stimme oder vielleicht doch die Lyrics, die von der Leere erzählten, die entstand, wenn man jemanden vermisste?
    Auch an diesem späten Abend kam Josh nicht hinter das Geheimnis, wahrscheinlich aus dem Grund, weil er seinen Vater nicht gut genug kennengelernt hatte, um so etwas beurteilen zu können. Er war sieben Jahre alt gewesen, als Benjamin auf See geblieben war. Das Bild, das er von ihm behalten hatte, war das eines liebevollen, aber selten anwesenden Vaters. Was für ein Mensch Benjamin gewesen war, wusste er nicht. Die Erzählungen seiner Mutter Enid halfen nicht wirklich weiter, denn sie beschränkte sich stets auf ein paar harmlose Familienanekdoten. Manchmal dachte Josh, dass auch sie Benjamin nicht sonderlich gut gekannt hatte.
    Neben den harten Fakten aus Benjamins Lebenslauf war das Einzige, das Josh mit
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