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Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied
Autoren: Tanja Heitmann
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Firnisgeruch stieg ihm in die Nase. Beinahe hätte er also das Gemälde ramponiert, das Finebird bereits verkauft hatte. Zwischen Joshs Schulterblättern breiteten sich Schweißperlen aus, während er die Leinwand wieder aufstellte. An seinem Handballen war ein leicht grünlicher Schimmer hängen geblieben, obwohl die Ölfarbe eigentlich bereits getrocknet war. Als er daran schnupperte, roch das Grün nicht nach Harz und Terpentin, sondern nach Salz und modrigem Seetang.
    Hastig wischte Josh die Spur an seinen abgetragenen Jeans ab, dann kontrollierte er noch, ob er tatsächlich auch keinen Handabdruck auf der Oberfläche des Bildes hinterlassen hatte. Nein, nichts lenkte von dem bewegten Wasser ab. Falls es sich denn überhaupt um bewegtes Wasser handelte.
    Josh machte einen Schritt zurück, um einen besseren Blick auf das Gemälde werfen zu können, das ihm bis zur Brust reichte. Es zeigte dunkle, in sich verschlungene Blautöne, durchsetzt von hellen Sprenkeln - als würden dem aufgewühlten Meer feine Sauerstoffbläschen entsteigen.

    Ohne sich dessen bewusst zu sein, folgte Josh mit den Augen dem Bläschenstrudel, bis er nichts mehr anderes sah als dunkles Wasser. Immer tiefer tauchte er hinein, während um ihn herum das Meeresrauschen toste. Man konnte meinen, es sei so laut, um einen anderen Klang zu übertönen. Einen Klang, der noch zu fern war, um jetzt schon ausgemacht zu werden.
    Da! Da war doch etwas!
    Ein helles Flackern, ein ovaler Umriss wie etwa ein Gesicht. Doch das Wasser drängte sich dazwischen, ließ alles verschwimmen. Josh fühlte, wie er zurückgedrängt wurde, und versuchte, dagegen anzukommen, aber es nützte nichts. Das Meer war stärker, es wollte ihn wie einen Fremdkörper ausspucken. In dem Moment, in dem sich die Wasserfluten wieder in Pinselstriche aus Öl verwandelten, hörte Josh eine singende Stimme, die vom nassen Element getragen wurde.
    »Ruf mich zu dir, oder ich hole dich.«
    Am ganzen Körper bebend, fand Josh sich im Cottage wieder. Die Möwe war in die Dämmerung verschwunden, das Gemälde war nichts weiter mehr als blaues Chaos. So schnell er konnte, sah Josh zu, dass er ins Freie kam.

2
    Pubbesuch
    Allmählich ging es auf neun Uhr zu, und Josh beschloss, dass er kein Pint mehr herunterbekam, obwohl die Stimmung im Peebles & Co. an diesem Abend besonders ausgelassen war. Mary, die Wirtin des Pubs mit seinen fünf Tischen und einer Dartscheibe, hatte ihren Platz hinterm Tresen längst verlassen und stand Arm in Arm mit Mawhiney, dem Postboten und Transporteur für alles, beisammen. Gerade stimmten sie lautstark einen weiteren Folksong an, während Josh Kleingeld aus seinen Hosentaschen kramte und es in die offen stehende Kasse warf. Der hochgewachsene Cameron, ein Freund aus Kinderzeiten, der mit ein paar anderen Kartenspielern an einem Tisch saß, hob die Hand.
    »Willst du dich etwa schon vom Acker machen, Galbraith? Wir wollen gleich noch bei mir mein Selbstgebrautes probieren. Dazu können wir jeden Mann gebrauchen.« Die abgebrochenen Vorderzähne, die Cameron bei seinem Grinsen zeigte, bewiesen zweifelsohne, dass ihm
sein Selbstgebrautes schon so manches Opfer abverlangt hatte.
    Obwohl Josh normalerweise ungern Einladungen ausschlug, winkte er ab. »Lass gut sein, heute Nacht brauche ich meinen Gleichgewichtssinn noch. Ich muss nämlich nach Hause laufen.«
    »Leute, habt ihr das gehört? Joshua Galbraith will zu Fuß laufen! Hast du die Schrottkiste endlich im Meer versenkt? Wäre ja auch höchste Zeit.«
    Camerons dröhnende Stimme erreichte auch den letzten ale-seligen Pubbesucher, und für einen Moment sah Josh sich mit lauter johlenden Insulanern konfrontiert. Ein wenig beleidigt wandte er sich wieder dem Tresen zu. Mochte ja sein, dass seine Maschine nicht einmal mehr als Altmetall taugte, aber er liebte sie trotzdem. Sollen sich die anderen doch ruhig über sie lustig machen.
    Gerade als er seine beglichene Rechnung von der Tafel strich, tauchte Eileen hinter ihm auf, die bislang mit dem allabendlichen Frauenclan von Cragganmore an einem Tisch gesessen hatte. Es ging ihnen wohl langsam der Gesprächsstoff aus, nachdem sie die letzte Folge ihrer Lieblings-Daily-Soap bereits zum dritten Mal durchgekaut hatten.
    »Hi«, sagte Eileen, während sie an Josh vorbei nach der Kreide griff, um ihre Rechnung ebenfalls auszustreichen. Dabei drückte sie ihren Busen einen Tick zu lang an seinen Oberarm. Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte. Eileens Oberweite
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