Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
Sturmwelle, die das Black House von einem Augenblick zum anderen vollständig flutete. Josh stand stocksteif da, während das Wasser ihn umtoste, ohne ihn zu berühren. Dennoch füllte es jede Ecke des Hauses aus, während die gesamte Einrichtung von der Flut mitgerissen und bis auf die schweren Möbel unter den Giebel gespült wurde.
    Doch dafür hatte Josh keinen Blick übrig. Alles, was er sah, war der Umriss einer Frauengestalt, der sich in den dunklen Wasserfluten abzeichnete und auf ihn zuschwamm. Noch verzerrt und nicht mehr als eine Ahnung, plötzlich eine Armlänge von ihm entfernt vor ihm schwebend, erfüllt von einem inneren Leuchten.
    Dann erreichte ihn ihr Lied.

    Es war kein Gesang, wie Menschen ihn hervorbrachten, sondern eine Zusammensetzung aus Tönen und Rhythmus, geleitet von dem Wunsch, den Ausdruck für eine Stimmung oder ein Gefühl zu finden. Dieses Lied war ein Bestandteil der Sirene - wer es einmal hörte, wusste von dem Zauber, der ihr innewohnte. Auch musste die Sirene nicht einmal ihre schönen Lippen öffnen, um es anzustimmen, denn es ging ihr voraus, gleich einem Boten, der ihre Ankunft vorbereitete. Es war auch nicht das Gehör, mit dem Josh es aufnahm. Stattdessen verdichtete es sich in seinem Inneren, füllte ihn mit einer Empfindung aus, der er kaum standhalten konnte. Ein Sehnen, das alles andere verblassen ließ. So süß und schmerzhaft zugleich, dem man sich unmöglich entziehen konnte. Das Sirenenlied entsprach der Magie des Meeres, in einem Moment sanft, im nächsten mitreißend.
    Und während das Lied Josh in seinen Bann schlug, wichen die Wasserfluten beiseite und gaben den Blick auf die Sirene frei.
    Die letzten sieben Jahre hatten nichts an ihrem Aussehen verändert. Vermutlich würden auch siebenhundert Jahre ihr nichts anhaben können. Die gleiche perlmuttfarbene Haut, die gleichen dunklen Augen, das gleiche lange Haar, das mal hell - wie vom Sonnenlicht geküsst - schimmerte, mal dunkel - wie vom Wasser benetzt - glänzte. Es umschlang ihre ganze Gestalt, und augenblicklich verspürte Josh das brennende Verlangen, seine Hand auszustrecken, um es zu berühren. Doch er wagte es nicht.
    Sie kannte solche Zurückhaltung offenbar nicht, denn sie streckte ihre schlanke Hand nach ihm aus, zwischen deren Fingern Josh zarte Schwimmhäute zu erkennen glaubte. Sie strich über seine nackte Brust... und doch tat
sie es nicht. Zwischen ihrer Berührung und Joshs Haut war eine unsichtbare Schutzmauer. Sie vermochte ihn ebenso wenig zu berühren wie das Wasser, das ihre Vorhut gewesen war.
    Traurigkeit breitete sich in ihren Augen aus, aber auch eine Einsamkeit, in der er sich wiedererkannte.
    »Warum rufst du mich nicht zu dir, erwartest du mich denn nicht, trotz all der Zeichen, die ich dir geschickt habe? Sehnst du dich denn nicht mit der gleichen quälenden Intensität wie ich nach einem Kuss?«, fragte sie ihn mit ihrer Stimme, die lieblicher und verlockender klang als jede menschliche Frauenstimme.
    Die Antwort brannte Josh auf den Lippen, aber er hatte nicht den Mut, sie zu öffnen. Zu sehr befürchtete er, dass er etwas Falsches sagen könnte. Dass er sie entgegen seiner tiefsten Überzeugung zu sich rief, anstatt sie abzuweisen. Weil er sich tatsächlich danach sehnte, noch einmal von ihr berührt zu werden, ihre kühlen Lippen auf seinen zu spüren und in der Magie ihrer Stimme zu versinken. So weit würde er es jedoch niemals wieder kommen lassen. Es war ihm einmal zugestanden worden, sich aus ihren Armen zu befreien. Er vertraute nicht auf sein Glück, dass sie ihn ein zweites Mal verschonen würde.
    »Joshua Galbraith, wir wissen beide, dass es an der Zeit ist. So lange habe ich mich geduldet. Wenn mich die Stürme nun in diese Gewässer führen, werde ich nicht an deinen Ufern vorbeiziehen, denn dieses Mal werden wir zueinanderfinden. Alles, was ich mir wünsche, ist deinen Ruf zu vernehmen, als Beweis dafür, dass du dich genauso sehr nach mir verzehrst wie ich nach dir. Anders kann es doch gar nicht sein...« In ihren großen, endlos tiefen Augen leuchtete Verzweiflung auf.

    Obwohl es ihn seine ganze Kraft kostete, senkte Josh den Kopf, um nicht länger ihren Blick erwidern zu müssen. Gleich... gleich würde es vorbei sein, darauf musste er vertrauen. Der Bann ihres Liedes würde verblassen, ihr wunderschönes Antlitz hinter den Wassermassen verschwinden. Nicht nachdenken, nicht fühlen, einfach nur ausharren. Alles andere wäre sein Verderben.
    »Du weißt, dass du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher