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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch
Autoren: Lisa Papademetriou
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Momenten kam Will sich vor wie Frankensteins Monster, irgendwie notdürftig zusammengeflickt. Vor allem in einem Ort wie Shelter Bay, wo fast alle Sommergäste ihrer Schönheit ein wenig operativ nachgeholfen hatten.
    Selbst das wäre mir egal, wenn ich mich nur endlich an etwas erinnern könnte, dachte Will und öffnete den Medizinschrank. Wenn ich wüsste, was damals eigentlich passiert ist. Wenn ich meinem Gedächtnis doch nur auf die Sprünge helfen könnte.
    Er nahm eine orangefarbene Flasche heraus und drehte den weißen Plastikdeckel ab. Der Arzt hatte ihm Schlaftabletten verschrieben, die er jedoch nur sehr ungern nahm, weil er sich davon am nächsten Tag schrecklich träge fühlte.
    Allerdings war eine durchwachte Nacht auch nicht gerade eine gute Alternative.
    Also steckte er sich zwei Tabletten in den Mund und spülte sie mit einem großen Schluck Leitungswasser hinunter. Dann stellte er die Flasche zurück in den Medizinschrank, schloss ihn zu und machte das Licht aus, in der Hoffnung, dass die Wirkung bald einsetzen würde.
    Er schlüpfte zurück in sein Bett, unter die uralte Patchwork-Decke, die seine Großtante selbst genäht hatte, und lauschte dem Heulen des Windes. Er schob seine Füße unter Guernseys warmen Körper. Das klingt ja nach einem Hurrikan da draußen, dachte er.
    Der Sturm nahm merklich zu. Die stolze Eiche nahe dem Verkaufsstand stemmte sich hartnäckig gegen den Wind, doch dieser wurde immer stärker. Plötzlich hörte Will einen lauten Knall, so als hätte jemand einen Gewehrschuss abgefeuert, dann lautes Knacken und Stöhnen im Geäst, als der Sturm die Überhand gewann.
    Die alte Eiche beugte sich im Wind und stürzte schließlich mit einem gigantischen Krachen um, gefolgt von einem seltsamen hellen Scheppern.
    »Das Gewächshaus!«, rief Wills Vater alarmiert.
    Fußgetrappel war zu hören, die Küchentür wurde geöffnet und mit einem Rums wieder geschlossen. Dann herrschte plötzlich Stille im Haus. Will lag reglos in seinem dunklen Zimmer.
    Vor einem Jahr noch hätte sein Vater längst zu seinen beiden Söhnen hochgebrüllt, sie sollten gefälligst ihre Hintern nach unten bewegen, um mit anzupacken. Doch jetzt war alles anders.
    Will rollte sich auf der Seite zusammen wie ein Fragezeichen. Er wusste, dass er irgendwann einschlafen würde. Wenn er nur lange genug wartete.

Kapitel 3
    Aus der Shelter Bay Gazette
    Startschuss für Aufräumarbeiten in der Stadt
     
    Shelter Bays Bürgermeisterin Claire Hutchinson ruft alle Bürger dazu auf, heute bei den Aufräumarbeiten an allen Stränden der Stadt mitzuhelfen. Die durch Wirbelsturm Bonita entstandenen Schäden sind zwar glücklicherweise nicht so groß wie zunächst befürchtet, dennoch haben Wind und Wellen reichlich Müll an den Stränden hinterlassen.
    »Wir sind wirtschaftlich auf den Tourismus angewiesen«, so die Bürgermeisterin gestern Abend in einer Pressemitteilung. »Die Touristen erwarten hier die unberührten, weißen Sandstrände, für die unser Ort berühmt ist.« Ein Sprecher der Stadtwerke äußerte sich heute Morgen …
     
    »Guten Morgen, Sonnenschein!«, trällerte Zoe, als Will am nächsten Morgen müde in die Küche geschlurft kam. Sie ließ zwei Spiegeleier auf einen Teller gleiten und hechtete zum Toaster, um die Toastscheiben darin vor dem Verbrennen zu retten. Eigentlich wollte Wills Dad den Auswurfmechanismus schon seit acht Jahren reparieren, doch Zoe konnte das Gerät mit seinen Macken mittlerweile recht gut einschätzen.
    »Was machst du denn schon hier?«, fragte Will und blinzelte sie aus verschlafenen Augen an. »Und wieso riecht es hier nach gebratenem Speck?«
    »Na, weil ich dir Frühstück gemacht habe«, antwortete Zoe und setzte ihm den Teller vor die Nase. »Ich dachte mir, das wäre wohl das einzige Mittel, um dich wach zu bekommen.«
    Will warf einen Blick auf die Küchenuhr: halb zwölf. Nun saß er also mitten in seiner eigenen Küche, während das Mädchen von nebenan den Kochlöffel schwang, als sei es Schneewittchen und hätte eine Bande hart arbeitender Zwerge zu verköstigen. So war Zoe eben. Zwar verbrachte sie lediglich die Sommermonate in Shelter Bay, doch jedes Mal, wenn sie und ihr Vater wieder auftauchten, schien es, als seien sie nie fortgewesen. »Wo sind denn eigentlich die anderen?«
    »Ich nehme mal an, dass dein Dad im Laden ist. Und deine Mom …«
    »Na, auch schon aufgestanden?«, sagte Evelyn Archer, die gerade aus dem Wohnzimmer kam. Missmutig blickte sie Will aus
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