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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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Selbstmörder immer die schönsten Abgründe aussuchen. Das ist genau wie mit dem Eiffelturm, wo die Franzosen oft ein paar hundert Kilometer reisen, nur damit sie sich hinunterstürzen können. Belgier, Holländer, Deutsche auch Eiffelturm. Aber bei den Deutschen teilt es sich schon, und sagen viele, Humboldt-Terrasse bietet mir mehr Qualität, und die Sprache kann ich auch.
    «Einen labilen Menschen darf man hier nicht heraufführen», hat der Brenner gesagt, quasi Verständnis.
    Der Dr. Prader hat nachdenklich genickt. Das war einer von den Menschen, die eigentlich heute fast schon ausgestorben sind. Weil sieht man nur noch ganz selten: einen Menschen, der kein Theater macht.
    «Von wem haben Sie erfahren, daß ich es war, dem der Gottlieb seine Erinnerungen erzählt hat?»
    «Vom Sportpräfekt Fitz.» Und jetzt, bevor der Detektiv und der Seelendetektiv so einfach zur Sache gekommen sind, zuerst doch noch eine kleine vertrauensbildende Maßnahme. «Der Präfekt Fitz hält ja große Stücke auf Sie», hat der Brenner angefangen. «Wie Sie Ihre vier Kinder managen und sich nebenbei noch seit Jahren um Ihren Schulfreund kümmern. Und ehrenamtlicher Bewährungshelfer sind Sie auch noch.»
    «So gesprächig war der Wiedehopf?»
    «Wiedehopf», hat der Brenner gegrinst, weil besser hätte man den Sportpräfekt mit der Drahtfrisur wirklich nicht beschreiben können. Und natürlich beste vertrauensbildende Maßnahme, die es auf dieser Welt gibt: über einen Abwesenden schlecht reden.
    «Und hat er Ihnen auch von seinem eigenen Familienleben erzählt?»
    «Ist das so aufregend?» Da hat der Brenner sich ein bißchen dümmer gestellt, als er war. Weil daß der Präfekt Fitz gern Priester geworden wäre und nicht ganz freiwillig geheiratet hat, haben im Marianum schon ein bißchen die Spatzen von den Dächern gezwitschert.
    Paß auf, daß der nicht geweiht war, ist nur auf ein tragisches Unglück zurückgegangen. Der Präfekt Fitz war ja früher der eifrigste Priester-Student. Aber furchtbare Ironie des Schicksals, ausgerechnet sein Fleiß hat ihn aus der Bahn geworfen. Weil vor lauter Studieneifer hat er es einmal übersehen und eine ganze Woche keinen Sport gemacht.
    Und natürlich, der Teufel schläft nicht, und da hat es immer diese scheinheiligen Studentinnen gegeben, die ausgerechnet in der Priesterhauskirche ihren Gottesdienst feiern haben müssen. Schon eine gewisse Bosheit, weil in Salzburg gibt es genug Kirchen, und da verstehe ich nicht, warum so ein blondes Geschöpf ausgerechnet in die Priesterhauskirche gehen muß. Kunstgeschichte-Studentin, und angeblich wegen der Barockkirche, quasi Fischer von Erlach, diese Dinge. Das hat sie zumindest immer behauptet, wie der Priesterseminarist Fitz ihr dann nachträglich die Vorwürfe gemacht hat. Aber so ein Pech mußt du einmal haben, ein einziges Mal Berührung mit ding, und sofort schwanger und aus der Traum! Zuerst hat er noch alles abgestritten, aber dann natürlich aus der Traum, weil der Priesterhausleiter hat gesagt: Du mußt sie heiraten.
    So hat der Brenner die Geschichte schon gekannt. Aber für einen Detektiv natürlich immer interessant, wenn er die gleiche Geschichte von zwei Seiten hört, praktisch Widersprüche. Darum hat er sich alles vom Dr. Prader noch einmal erzählen lassen.
    Aber in dem Fall überhaupt keine Widersprüche, weil der Dr. Prader genau gleiche Version, sprich kunsthistorisches Interesse gewisser Studentinnen an der Priesterhauskirche, dann die Hormone, rampampam und aus der Traum vom Priesterleben.
    «Vielleicht übertreibt er es deshalb so mit der Frauenverehrung», hat der Brenner überlegt. Weil er hat den Präfekt Fitz einmal blöd gefragt, warum ein Knabeninternat ausgerechnet Marianum heißt, praktisch, ob das nicht besser zu einer Mädchenschule passen würde.
    «Und was hat er gesagt?» hat der Dr. Prader gegrinst.
    Der Brenner hat mit den Schultern gezuckt: «Er hat einen Mordsvortrag über die Jungfrau gehalten. Gar so genau hab ich ihm nicht zugehört, aber ‹Würde der Frau› ist mehrmals vorgekommen.»
    «Das sollte er einmal seiner Frau erzählen», hat der Dr. Prader fast so humorlos reagiert wie der Sportpräfekt selber.
    Sie waren jetzt schon auf dem Rückweg, und das muß ein kürzerer Weg gewesen sein, weil der Brenner hat sich gewundert, wie schnell sie wieder vor dem Haus vom Dr. Prader gestanden sind. Oder Haus eigentlich falsch ausgedrückt. Villa. Von dieser Seite ist es dem Brenner erst richtig aufgefallen,
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