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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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viel mit der Musik gemacht, Oper, Symphonie und, und, und, jetzt hat der Brenner den Namen natürlich sofort erraten.
    «Nein», hat der Sportpräfekt gelacht, «nicht Wolfgang. Der hat ja noch einen zweiten Vornamen gehabt. Einen lateinischen.»
    «Der Schüler hat einen lateinischen Vornamen gehabt?»
    «Nein, aber denselben Namen auf deutsch.»
    Jetzt, bevor du lange überlegst, Gottlieb hat er geheißen. Keine Hexerei, und der Brenner hat es dann auch erraten. Und weil er schon dabei war, hat er dem Sportpräfekt Fitz auch noch den Namen des Psychiaters herausgekitzelt, bei dem der Gottlieb immer seine scheibchenweisen Erinnerungsweltrekorde aufgestellt hat. Der Dr. Prader hat samt Frau und vier Kindern in einer Villa auf dem Mönchsberg gelebt, praktisch beste Adresse, weil mitten in der Stadt und doch auf dem Berg. Und interessant, der Dr. Prader ebenfalls Exzögling des Marianums, Klassenkamerad von seinem Patienten, sprich beide achtunddreißig Jahre alt.
    Mit dem Dr. Prader könnte ich ja einmal reden, hat sich der Brenner gedacht, besser, als immer nur im Kreis gehen. Aber das hat er sich leichter vorgestellt, als es war. Weil auf dem Weg zum Dr. Prader hat er zuerst einmal die Touristenschwärme in der Altstadt durchpflügen müssen. Passiert ist ihm nichts, der Brenner sowieso sehr robust, aber auf die Art ist er bestimmt bei zehntausend Japanern ins Fotoalbum hineingekommen.
    Und ob du es glaubst oder nicht. Mit dem Dr. Prader ist er dann erst recht wieder im Kreis gegangen. Weil wenn du schon so wunderbar auf dem Mönchsberg wohnst, hast du natürlich deinen täglichen Spaziergang, schön durch Wald und Wiese, von oben zwitschern die Vögel, und von unten hörst du den Probengesang aus dem Festspielhaus, das da direkt in den Mönchsberg-Felsen hineingebaut ist, praktisch Bibel: Immer auf Fels bauen, nur nicht auf Sand.
    Wie der Brenner beim Dr. Prader aufgetaucht ist, hat der ihn sofort auf seine tägliche Runde mitgenommen. Aber auf dem Mönchsberg natürlich schon ganz ein anderes Spazierengehen als im Marianum mit den hohen Drahtzäunen rund um den Park. Also nicht elektrisch geladene Zäune, das wäre Argentinien, Chile, wo es oft recht politisch hergeht, sondern Marianumszäune nur hoch, eventuell ein bißchen Stacheldrahtgemisch. Aber interessant, ein Drahtzaun kann noch so durchsichtig sein, er beengt den Blick ein bißchen.
    Dagegen Blick vom Mönchsberg einfach gewaltig. Das ist eine malerische Sache, Postkarte nichts dagegen. Mitten in der Stadt die zwei Berge, du stehst am Mönchsberg, von drüben schaut der Kapuzinerberg herüber, und im Tal dazwischen tausend Kirchen und Klöster aufgefädelt am grün blitzenden Salzachfluß, das mußt du dir vorstellen wie ein funkelndes Edelsteinkollier zwischen den prächtigen Brüsten einer Oktoberfest-Kellnerin, praktisch Vollendung der Natur.
    Da hat sogar schon in früheren Jahrhunderten ein gewisser Reiseschriftsteller gesagt, schönste Stadt der Welt. Und der ist weit herumgekommen, das war so, wie es heute im Fernsehen die Naturfilme gibt, und damals natürlich noch kein Fernsehen, aber auch schon Leute, die herumgefahren sind und den anderen erzählt haben, wo es am schönsten ist. Und wie der damals nach Salzburg gekommen ist, natürlich sofort hinauf auf den Mönchsberg, und dann der Blick auf die Kirchtürme hinunter, und in das Land hinein, und in die Welt hinaus, da ist ihm natürlich die Kinnlade hinuntergefallen, frage nicht.
    Er hat es sogar schriftlich gemacht: schönste Stadt der Welt! Jetzt, wie die Stadtväter das gelesen haben, haben sie natürlich sofort gesagt, wißt ihr was, gute Werbung, da benennen wir die Stelle, wo der am Mönchsberg gestanden ist, sofort Humboldt-Terrasse. Ja, siehst du, Humboldt, so hat der Bursche geheißen.
    Und Humboldt-Terrasse eben die Stelle, wo der Dr. Prader endlich einmal stehengeblieben ist. Der war drahtig wie ein Langläufer, fast ein bißchen das Gegenteil vom weichen Regens, und man hätte ihn eher für einen Bergführer gehalten als für einen Psychiater. Da ist der um zehn Jahre ältere Brenner beim Hügelspazieren neben dem Salzburger Nurmi natürlich ein bißchen ins Schwitzen gekommen.
    «Schön haben Sie es hier», hat der Brenner geschnauft und sich über die Absperrung gebeugt, wo es fast hundert Meter senkrecht hinuntergegangen ist.
    «Die Terrasse ist sehr beliebt –»
    «Das kann ich verstehen.»
    «– bei Selbstmördern.»
    Weil natürlich Ironie des Schicksals, daß sich die
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