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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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so interessiert haben.
    Gleich an seinem ersten Tag im Marianum hat ihn der junge Regens für zehn Uhr am Abend in sein Büro gebeten. Paß auf, das ist einfach zu merken, der Regens ist der Chef, und die Präfekten sind die Unterchefs. Der Brenner hat sich zuerst gewundert, daß so ein junger Mann überhaupt schon Priester sein kann, und dann gleich der Chef von der erzbischöflichen Spezialschule für Priesternachwuchs, praktisch heikle Mission. Aber der junge Regens hat seine Sache gut gemacht, Würde und alles. Und er war es auch, der gesagt hat, so geht das nicht weiter, ein Detektiv muß her, der das alles aufklärt.
    Wie die Digitaluhr, für die seine Polizeikollegen vor drei Jahren zu seinem Abschied zusammen gezahlt haben, auf 22:00 Uhr gehüpft ist, hat der Brenner an die Tür geklopft. Geöffnet hat ihm aber nicht der Regens, weil der ist nicht allein in seinem Büro gewesen. Die Tür aufgemacht hat ihm der alte Präfekt mit der Hasenscharte, der dem Brenner schon am Nachmittag das leerstehende Hilfspräfektenzimmer im dritten Stock zugewiesen hat. Der hat einen kurzgestutzten, grauen Vollbart gehabt, wodurch man die Hasenscharte zuerst gar nicht richtig gesehen hat. Aber es ist immer eine verteufelte Angelegenheit mit dem Fehlerverstecken, das ist wie bei den Glatzköpfen, die sich ihre letzten Haare drüberkämmen, dann sehen sie nur um so kahler aus. Oder meinetwegen wie bei den Mördern, die sich extra unauffällig benehmen, und schon klicken die Handschellen, nur weil du zu einem Polizisten gesagt hast, schönes Wetter heute.
    Jetzt hat man die Hasenscharte durch den Bart zwar kaum gesehen, aber der Sprachfehler dadurch natürlich um so auffälliger. Wahrscheinlich in der Kindheit Operationen und alles, jetzt hat der alte Präfekt ein bißchen eigenartig geredet, ungefähr wie die Leute mit den dritten Zähnen, wenn sie ihr prächtiges Gebiß schon zum Übernachten in das Kukident-Glas gelegt haben. Dem Brenner ist jetzt sogar vorgekommen, daß auch seine Stimme ein bißchen eigenartig war, wie er ihm den zweiten Präfekt im Regens-Büro vorgestellt hat: «Unser Sportpräfekt Fitz.»
    Die drahtigen Haare vom Sportpräfekt haben beim Händeschütteln gewackelt wie Antennendrähte, quasi herzliche Begrüßung. Dem Brenner ist aufgefallen, daß er im Gegensatz zu den beiden anderen keinen schwarzen Priesteranzug mit silbernem Ansteckkreuz getragen hat, sondern nur eine Bluejeans und ein weißes Hemd. Einfache Erklärung, er war kein Priester, sondern Laienpräfekt. Und weil der Sportpräfekt zwischen dem Regens und dem Hasenschartenpräfekt gesessen ist, hat sich für den Brenner dann ein eigenartiges Bild ergeben, wie dieses Wort, das so ähnlich wie sympathisch klingt. Links ein Schwarzer, rechts ein Schwarzer, und in der Mitte ein Weißer, ja: symmetrisch! Und fast so steif wie auf den alten Ölbildern, die die Gänge vom Marianum so verdüstert haben und deren Ölgeruch zusammen mit dem Küchenöl und dem Bodenöl die Luft eingefettet hat, praktisch Museum.
    Das wäre dem Brenner aber bestimmt nicht aufgefallen, wenn nicht über den drei Häuptern in goldenen Buchstaben eine Inschrift geleuchtet hätte:
    «Silentium!»
    Die Inschrift ist direkt an der Wand vom Regens-Büro gestanden, deshalb hat die ganze Szenerie für den Brenner momentan ein bißchen wie aus einer anderen Welt ausgesehen. Dabei hat er diese Inschrift schon tagsüber in allen Gängen und Studiersälen und sogar in den Waschsälen gesehen, da sind die Zöglinge auf Schritt und Tritt ermahnt worden: «Silentium!» hier, «Silentium!» da. Und ich muß sagen, volles Verständnis, weil in einer Bubenschule mußt du natürlich immer furchtbar aufpassen, daß dir der Lärm nicht vollkommen über den Kopf wächst, das ist ein Geschrei den ganzen Tag, da könnte es dir als Erzieher leicht passieren, daß du einmal entnervt in so einen Lärmhaufen hineinschießt, und vor lauter Pausengeschrei hörst du dein eigenes Maschinengewehr nicht.
    Jetzt haben sie das im Marianum gleich im Keim erstickt, da haben sie gesagt, damit fangen wir gar nicht an, die meiste Zeit hat nur geflüstert werden dürfen, und die restliche Zeit überhaupt komplett Silentium. Ist natürlich schon ein bißchen gespenstisch, wenn ein paar hundert Kinder überhaupt keinen Mucks machen. Und vielleicht war auch das ein bißchen mit der Grund, daß die Gerüche so in den Vordergrund getreten sind.
    Jetzt interessanter Zusammenhang: Gerade für das Silentium war der
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