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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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    1  An jenem Morgen hockte ich auf einer langen Bank im Schatten eines dicht belaubten Filicium, eines japanischen Baumfarns. Mein Vater saß neben mir, hatte mir den Arm um die Schultern gelegt und nickte den anderen Eltern und Kindern, die auf der Bank gegenüber saßen, mit einem Lächeln zu. Es war ein ganz besonderer Tag: mein erster Schultag.
    Am Ende der beiden Bänke war eine offene Tür, durch die man in ein leeres Klassenzimmer sah. Die Angeln saßen schief im Rahmen, ja, das ganze Schulgebäude stand so schief, dass es jederzeit umzufallen drohte. In der Tür warteten zwei Lehrer. Man hätte sie für das Empfangskomitee eines großen Fests halten können – ein älterer Herr mit einem gütigen Gesicht, Bapak K. A. Harfan Effendi Noor, oder Pak Harfan, der Rektor der Schule, und eine junge Frau mit Kopftuch, Muslimah Hafsari oder kurz Bu Mus. Beide lächelten, genau wie mein Vater.
    Bu Mus’ Lächeln wirkte allerdings etwas gezwungen, sie war ganz offensichtlich angespannt. Zum wiederholten Male zählte sie die Kinder, die auf der langen Bank saßen. Ihr stand die Sorge im Gesicht, und sie merkte gar nicht, wie ihr der Schweiß über die Augenbrauen lief. Die Tropfen rannen herunter und hinterließen eine Spur auf ihrer gepuderten Wange. Mit ihrem verschmierten Gesicht sah sie fast so aus wie die Dienerin aus Dul Muluk , einem unserer altüberlieferten Dorfstücke. »Neun Kinder. Erst neun, Pamanda, noch immer einer zu wenig«, sagte sie besorgt zum Rektor. Pak Harfan blickte in die Ferne.
    Ich fühlte mich unwohl, weil ich sah, wie aufgeregt Bu Mus war, und weil mich die Gefühle meines Vaters bedrückten. Obwohl er an diesem Morgen so freundlich zu mir war, verriet sein Arm, den er um mich gelegt hatte, wie heftig sein Herz pochen musste. Ich ahnte, wie schwer es ihm, einem Bergarbeiter von siebenundvierzig Jahren mit geringem Lohn, aber vielen Kindern, fallen musste, seinen Sohn zur Schule zu schicken. Es wäre einfacher gewesen, mich an einen Marktstand oder einen Kapitän am Hafen zu geben, damit ich als Helfer oder Träger zum Einkommen der Familie beitragen konnte. Mich zur Schule anzumelden bedeutete dagegen, sich auf Jahre hinaus in Unkosten zu stürzen.
    Ich hatte nicht den Mut, ihm ins Gesicht zu sehen. Mein Vater war nicht der Einzige, den die Unruhe plagte. Auch den anderen Eltern auf der langen Bank war anzusehen, dass sie mit ihren Gedanken woanders waren, auf dem morgendlichen Markt oder bei den Fischkörben am Strand, im Grunde überzeugt davon, dass ihre Kinder als Helfer dort viel besser aufgehoben wären. Sie glaubten keineswegs daran, dass die Ausbildung ihrer Kinder in irgendeiner Weise die Lage der Familie verbessern könnte. Sie waren nur gekommen, weil sie Angst vor den Vorwürfen der Gemeindeverwaltung hatten, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schickten.
    Ich kannte alle, die vor mir auf der Bank saßen, mit Ausnahme eines kleinen, dreckigen Jungen mit rötlichem Kraushaar, der versuchte, sich von seinem Vater loszureißen. Der Vater war barfuß und trug eine einfache Baumwollhose.
    Alle anderen waren gute Freunde von mir. Trapani zum Beispiel, den seine Mutter auf dem Schoß hatte, Kucai, der neben seinem Vater saß, Sahara, die schon die ganze Zeit schmollte, weil sie sofort ins Klassenzimmer wollte, ihre Mutter es aber nicht erlaubte, oder Syahdan, der ganz allein gekommen war. Wir waren Nachbarskinder, Malaien aus Belitung, und wir gehörten alle zur ärmsten Bevölkerungsschicht der Insel. Auch die Muhammadiyah war eine der ärmsten Dorfschulen auf Belitung. Es gab nur drei Gründe, warum unsere Eltern uns hier angemeldet hatten. Erstens, weil Muhammadiyah-Schulen keine Gebühren nahmen und sie lediglich freiwillige Beiträge zahlten, soweit sie es eben konnten. Zweitens, weil unsere Eltern hofften, dass eine frühe Unterweisung im Islam uns später vor schlechten Einflüssen bewahren würde. Und drittens, weil wir sowieso keinerlei Chance hatten, von einer anderen Schule genommen zu werden.
    Bu Mus wurde immer nervöser und blickte auf die breite Straße auf der anderen Seite des Schulhofs, in der Hoffnung, es könnte sich doch noch ein Schüler verspätet einfinden. Der zuständige Schulrat in der Erziehungsbehörde von Südsumatra hatte erklärt, die Muhammadiyah müsse geschlossen werden, falls sich weniger als zehn neue Schüler anmeldeten, auch wenn sie die älteste Grundschule in Belitung sei. Letztes Jahr waren zwar noch elf neue Schüler
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