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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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die Augen, und bald wurde es Zeit, daß wir gingen. Wir stiegen in den Bus, waren in zehn Minuten am Flugplatz. Ich ging zum Schalter der Lufthansa, ließ meinen Flugschein kontrollieren. Man fragte mich, ob ich einen Raucher- oder Nichtraucherplatz wolle, und ich bekam meinen Bordpaß. Viel Zeit blieb uns jetzt nicht mehr. Im Flughafen herrschte ein großes Gedränge. Durch die Glaswände sah man die Landepiste, die rollenden Flugzeuge. Die Gongsignale der Lautsprecher übertönten das Echo der Schritte. Meine Wangen brannten, meine Ohren fühlten sich dumpf an. Eine seltsame Betäubung lähmte uns. Wir gingen Hand in Hand, gefangen in gemeinsamem Schmerz; und doch war dieser Schmerz mit Hoffnung verbunden. Die Trennung barg die Keime des Wiedersehens in sich: Hier, in diesem Augenblick, wurde die Zuversicht gesät. Sie würde wachsen, wie das Kind in mir wuchs. Es lebte in mir, dieses Kind, es war ein Teil von ihm, mit mir verwachsen.
    Ken nahm, einer Eingebung folgend, plötzlich die Uhr ab, den Talisman unserer Liebe, und legte das Armband um mein Handgelenk. Und dann blickten wir uns an, und ich drückte meine Handfläche auf die Uhr, preßte und rieb sie an der rosafarbenen Narbe der Brandwunde, dieses Kennzeichen.
    Vor uns die Paßkontrolle, wo das Handgepäck durchleuchtet wurde. Die Passagiere nach Frankfurt wurden bereits aufgerufen. Ken packte mich an den Schultern, zog mich in eine ruhige Ecke am Fenster. Dort standen wir nun, eng umschlungen, während die Menschen an uns vorbeiströmten.
    »Bis bald«, sagte ich.
    »Bis morgen«, erwiderte er.
    Ein neuer Gongschlag, eine sanfte Frauenstimme. Die Passagiere nach Frankfurt wurden zum zweitenmal aufgerufen. Ein Zittern fuhr durch uns hindurch; er legte beide Hände um meinen Hals, vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.
    »Du mußt gehen«, sagte er kehlig.
    Ich nickte, löste mich von ihm.
    »Paß auf dich auf«, flüsterte er, »und auf unser Kind.«
    Er legte den Arm um mich, brachte mich an die Paßkontrolle, wo die Passagiere warteten. Er gab mir meine Tasche. Ich nahm meinen Paß heraus; sah ihn an. Er umfaßte mein Gesicht mit beiden Händen.
    »Ore omae ga sukida.«
    Ich schloß meine Hand um die Silbermuschel und antwortete leise: 568
    »Watashi anata ga suki.«
    Er drehte meine rechte Hand um, legte meine Handfläche an seine Wange und küßte die Narbe. Ich streichelte sein Gesicht mit den Fingerspitzen; langsam, ganz langsam rückte ich von ihm weg. Er lehnte an der Wand, blaß wie damals im Krankenhaus. Dann straffte er sich; ein schmerzvolles Lächeln zog über sein Gesicht. Ich hielt die Augen auf ihn gerichtet, während ich meinen Paß dem Beamten gab, meine Tasche auf das Rollband legte. Die Tasche wurde durchleuchtet und kam auf der anderen Seite der Maschine wieder zum Vorschein.
    Ich ging durch den Metalldetektor, wurde von einer Beamtin in blauer Uniform angehalten und durchsucht. Dann gab man mir meine Tasche zurück; ich warf sie über die Schulter, rührte mich nicht, ein paar Atemzüge lang, sah immer noch zu ihm hinüber. Er stand dort, wo wir uns getrennt hatten, in Jeans und T-Shirt, seinen weißen Pullover um die Taille geschlungen, das grauschwarze Haar über die Schultern flutend. Und plötzlich hob er den Arm und grüßte, hoch aufgerichtet, wie er nach dem Trommelspiel die Zuschauer zu grüßen pflegte. Ich preßte die Hand an meinen Mund, dort, wo er mich geküßt hatte, dann setzte ich mich in Bewegung, rückwärts gehend, mit großer Mühe. Mein Blick ließ nicht von ihm ab.
    Durch einen Tränenschleier verschwand sein Bild vor meinen Augen. Ich drehte mich um und lief fort, atemlos und keuchend, lief an den anderen Leuten vorbei, denn jeder Schritt, jede Sekunde, die mich von ihm entfernten, brachten mich schneller zu ihm zurück.
    Das Ende und der Neubeginn
    Genf, elf Uhr nachts. Mit matten Schritten kam ich aus der Abflughalle. Ich hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Mir war, als bewege ich mich in einem dieser Träume, wo alles verschwommen und überdeutlich wird. Ich hatte eine Schlaftablette genommen, kaum etwas gegessen, fast nur geschlafen, gedankenlos, gefühllos und unempfindlich gegen alles, was von außen kam. Dann und wann schreckte ich hoch, von wirrer Panik erfüllt, mit einer Frage, die keine Antwort erhielt, so oft ich sie auch stellte. Die Sonne zog ins Meer, feuerrot, winzig. Dein Geruch auf meiner Haut war verflogen. Die Maschine vibrierte ruhig; sie flog den Schatten entgegen, der Nacht. Das Surren der
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