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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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Kopf.
    »Du hast schon recht, Juliesan. Er würde dir keine Wahl lassen.«
    »Wollen Sie sich nicht etwas Bedenkzeit nehmen?« fragte der Arzt.
    »Bedenkzeit, wozu?« sagte ich. »Wann muß ich bereit sein?«
    Man führte bei mir die nötigen Untersuchungen durch; dann fand die Operation statt. Ich wurde nur örtlich betäubt; danach verbrachte ich einige Tage in der Klinik. Man hatte mir die Haut vom Oberschenkel entfernt, keine große Fläche.
    Die Wunde näßte und brannte einige Tage lang, trotz schmerzlindernder Salben.
    Allmählich bildete sich eine Kruste, die sich schmerzhaft dehnte, sobald ich mich bewegte. Ich hatte das Gefühl, daß sie aufbrechen würde, wenn ich nicht meine Muskeln entspannen konnte. Nach ein paar Tagen begann die Kruste stark zu jucken. Als sie abfiel, hatte sich darunter eine neue Hautschicht gebildet, zart und so empfindlich, daß ich eine Zeitlang nur Shorts trug, damit sie nicht mit Stoff in Berührung kam. Ich hatte ein Zimmer in einem Hotel bezogen, um stets in Kens Nähe zu sein. Wenn ich etwas aus unserem Haus brauchte und nach der Post schauen wollte, fuhr Hiro mich hin, oder ich bestellte ein Taxi. Ich hatte dafür gesorgt, daß Ken ein Einzelzimmer in der internen Privatstation bekam. In der ersten Zeit wurde er mit Schlafmitteln bewußtlos gehalten. Ich fand, daß sein Arm schrecklich zugerichtet war. Ich hätte vor Verzweiflung und Mitleid weinen können, doch er selbst fand seinen Schmerz nicht entsetzlich. Seine Ruhe war ungewöhnlich; er spottete über sich selbst und schlief wie ein Kind. Mich erfüllte tiefes Glück, einfach bei ihm zu sein, während er leise, ruhig atmend, da lag. Ich saß neben seinem Bett, lernte seinen Verband zu wechseln, pflegte und kämmte sein Haar, ließ es über meine Hand rieseln, wand es um meine Handgelenke, hingegeben an das sinnliche Entzücken, das diese Berührung bei mir auslöste.
    Einige versengte Strähnen hatte ich schneiden müssen, doch er hatte so viel Haar, daß man es kaum bemerkte. Sein Zustand besserte sich erstaunlich schnell. Es war eine Lust, zu sehen, wie seine Kräfte zurückkehrten. Dr. Matsuda beruhigte mich: Die Wunden würden gut verheilen und die Narben im Lauf der Zeit verblassen.
    Ich kaufte ein neues Armband für seine Uhr, damit er sie wieder tragen konnte.
    Außer den Musikern kamen fast täglich Besucher aus Himesaki: Vertreter der Dorfgemeinschaft, Priester, Bootsbauer sowie Fischer oder Bauern aus den umliegenden Dörfern. Ich war überrascht und erschüttert, wie viele Leute, die ich 556
    noch nie gesehen hatte, Ken ihre Teilnahme zeigten. Wir wußten bald nicht mehr, wohin mit den Geschenken, und verteilten sie an die Kranken und das Pflegepersonal. Allmählich nahmen wir unsere kleinen Gewohnheiten wieder auf, hielten uns behutsam in den Armen, sprachen leise zueinander. Ken brachte mir Japanisch bei, erzählte mir komische kleine Geschichten, bis ich vor Lachen fast erstickte und vergaß, wo wir uns eigentlich befanden. Um unser Glück vollkommen zu machen, ließ uns Dr. Matsuda wissen, daß keine Komplikationen mehr zu befürchten seien und eine zweite Operation nicht notwendig war.
    Drei Wochen später wurde Ken aus dem Krankenhaus entlassen. Die Leitung der Gruppe hatte Hiro übernommen. Ken war inzwischen wieder soweit hergestellt, daß er die thematische Linie für die nächste Spielplanung ausarbeiten konnte. Sein Arm war immer noch verbunden; ich erneuerte täglich den Verbandstoff. Ich ging sehr behutsam vor, in ständiger Furcht, ihm weh zu tun.
    Doch er lachte nur dabei und neckte mich:
    »Liebste, ich bin nicht aus Porzellan. Und glaubst du mir, wenn ich dir sage, daß es die schönste Zeit meines Lebens ist?«
    »Ja, ich glaube dir«, erwiderte ich leise. »Für mich auch.«
    Dann war es Sommer: Die Sonne glänzte am Himmel und im Meer, ein zweifaches wildes Glühen. Die Blechdächer der kleinen Holzhäuser blendeten wie Spiegel. Die See schwebte auf zum Horizont. In der Ferne sahen wir Land, wo kein Land sein konnte; wunderbare blaue Luftspiegelungen zerplatzten wie Blasen. Wir hörten das Summen der Wespen, die sich unter der Dachtraufe ein Nest bauten, das verschlafene Gegacker der Hühner, die dünnen Stimmen der Kinder, die jetzt Ferien hatten. Sträucher und Bäume erstarrten in Schattenlosigkeit; so auch das Haus, still und hell. Ken war noch ruhebedürftig. Wir lagen nebeneinander in der Hitze der Nachmittage. Wir sprachen leise, lachten verhalten, scheuten uns fast, die Stimme zu
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