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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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keine, aber sie besaß eine Pumpe, mit der sie Wasser aus einer Quelle schöpfte. Sie hatte sich sogar einen kleinen Garten angelegt. Die Lebensmittel schleppte sie in einem Korb hinauf, den sie nach alter Sitte auf dem Rücken trug.
    Wir blieben stehen. Ich hob den Kopf zu dir empor, und der Wind blies dein Haar an meine Wange. Unsere Augen begegneten sich. Deine waren braun wie Honig, wild und verträumt.
    »Hast du Angst?«
    Deine Stimme klang seltsam rauh.
    »Mich friert es ein bißchen im Bauch. Aber ich kenne ja den Weg.«
    Deine Hand umfaßte meinen Kopf, drückte ihn behutsam an deine Brust, eine Geste schützender Zärtlichkeit, eine aufwühlende Liebkosung.
    »Zurück gehst du jedenfalls nicht. Im Dunkeln ist es gefährlich. Du bleibst bei Kimiko. Morgen früh hole ich dich ab.«
    7
    Wir umarmten uns, fast bis zum Ersticken. Aber es war immer noch nicht fest genug. Nichts konnte fest genug sein. Tot oder lebendig, wir würden niemals aufhören, uns zu lieben.
    Mein Mund wanderte deinen Hals entlang; meine Lippen bewegten sich.
    »Watashi anataga suki.«
    Du preßtest dein Gesicht an meines, zogst langsam und tief meinen Atem in dich ein, sprachst leise an meinem Mund:
    »Ore omaega sukida.«
    Unsere Worte, unsere Sprache; nichts anderes mehr. Eine Vorwärts- und Rückwärtsbewegung in der Zeit, ein völliger Gleichklang, wie wenn wir uns liebten. Es war erforderlich, daß ich ging. Wollte ich näher bei dir sein, mußte ich den Umweg über diesen Berg machen. Deine Haut und meine Haut, miteinander verwachsen. So wollten wir es beide, wir waren Liebende in einer verzauberten Welt, unsere Kraft suchte die Sterne. Wir wollten leben, um uns zu spüren, wir wollten sterben, um niemals getrennt zu sein.
    »Es wird Zeit…«
    »Bleibe noch!«
    »Ich muß gehen.«
    Ich warf mich an deinen Hals. Wir küßten uns, sanft und stöhnend. Deine Haut schmeckte nach Sand, dein Haar nach feuchten Gräsern, deine Lippen nach Salz.
    »Ich bin bei dir«, sagtest du. »Ich verlasse dich nicht. Keinen Atemzug lang.«
    In deinen Augenwinkeln glitzerte es, du hieltest noch immer meine Hand. Ich löste mich sanft von dir und ging. Doch nur ein paar Schritte; schon blieb ich stehen, schwankend, die Augen geschlossen. Du holtest mich lautlos ein, warfst beide Arme um mich. Ich trank deinen Atem, fand die Beuge deines Halses, die Mulde deiner Schulter: die einzige Heimat, die ich je hatte. Wieder trennten wir uns, hielten uns an den Händen fest, streichelten uns mit den Augen. Dann ließen wir unsere Finger los. Deine reglose Gestalt warf einen langen Schatten in der Abendsonne, und auf deinen nackten Schultern lag ein kupferner Glanz, wie eine Aura. Tränenblind stolperte ich den Weg hinauf.
    Dein Leben verließ dich: Jetzt lebte es nur noch mit mir.
    8

1. KAPITEL
    I ch schlug die Wagentür zu, rannte den Waldweg entlang. Es hatte den ganzen Tag geregnet. Tropfen fielen von den Bäumen. Das Brausen des Verkehrs klang durch die Büsche, vermischt mit dem Geräusch meines Atems. Dort, wo die Landstraße begann, lichtete sich der Wald. Eine Brücke führte über die Autobahn unterhalb der Böschung. Keuchend lief ich weiter, blieb mitten auf der Brücke stehen und lehnte mich über das Geländer. Wind hatte sich aufgemacht; die schiefergraue Fläche des Genfer Sees löste sich aus dem Nebel. Das trübe Wetter hatte die Leute nicht abgehalten, das Wochenende im Wallis zu verbringen; in den hohen Alpentälern lag noch Frühlingsschnee, die Skilifte waren noch in Betrieb.
    Jetzt war Sonntagabend. Die Lichterkette der Scheinwerfer funkelte bis weit in das Rhônetal hinein. Jeder Wagen tauchte unter die Brücke mit dem gleichen hastigen Zischlaut. Ich stöhnte: »Du Dreckskerl!«, warf schluchzend den Kopf zurück und schrie aus Leibeskräften: »Scher dich zum Teufel!«
    Der Schrei ging im Zischen der Wagen unter. Ich schlang beide Arme um mich, festhaltend, schützend, wiegte mich hin und her. Mein Oberkörper bebte von den Schlägen meines Herzens. Plötzlich tanzte ein Scheinwerferkegel über die Landstraße. Der Umriß eines Mopedfahrers tauchte in der Dunkelheit auf. Er fuhr dicht an mir vorbei, während ich langsam wieder zu Atem kam. Mein Zittern beruhigte sich; das Schreien hatte befreiend gewirkt. Ich zerrte an dem Reißverschluß meiner Windjacke. Es war plötzlich warm geworden. Schwitzend schleppte ich mich zu meinem Fahrzeug zurück, ließ mich auf den Sitz fallen. Mit der Entspannung kam das übliche Gefühl des Absinkens:
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