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Wer mit Hunden schläft - Roman

Wer mit Hunden schläft - Roman

Titel: Wer mit Hunden schläft - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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I
    Wie jeden Freitag sitzt der Herr Norbert bei seiner vom Gericht verordneten Therapiesitzung im kleinen Therapieraum der ihm zugewiesenen Männerberatungsstelle auf dem abgewetzten Drehsessel. Ihm gegenüber lehnt sein Lebensberater schief in einem für diese Therapieräume typischen schwarzen Ledersofa und kaut an der Spitze eines Kugelschreibers herum. »Kreisky, sag ich zu meinem Hund, geht doch alle scheißen, hab ich mir seinerzeit beim Abschied gedacht, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert.
    Seine Mutter hat den Herrn Norbert weggegeben, als er noch ein Bub war. Setzte ihren lieben kleinen Norli, wie sie ihn nannte, mit ihrer Hand seine Haare zerwühlend, am Bahnhof von Pichlberg in den Regionalzug nach Mürzzuschlag, von wo aus er den Zug nach Wien nehmen musste. Zum Anlass der Abschiebung des kleinen Norli durch die Mutter in das Arnautovič Kinderheim der Stadt Wien war er von ihr in das üblicherweise nur zu feierlichen Anlässen zu tragende Gewand gezwungen worden. Ein Kindersteireranzug war es, wie seine Mutter das Gewand nannte. Ein Anzug, den man Kindern anzieht, damit sie aussehen wie kleine Erwachsene. Aussehen wie ausgewachsene Menschen, denen man Erwachsenenangelegenheiten zutraut, die aber in Wirklichkeit noch Minderjährige sind. Hauptbestandteil dieses Kindersteireranzugs des Norbert war ein hellblauer Walkjanker. Diesen hellblauen Walkjanker hat der Norbert schon aufgrund seiner rauen, jedes blanke Hautstück irritierenden und aufwetzenden Oberflächenbeschaffenheit immer schon gehasst. Vor keinem Gewand hat ihm mehr gegraust als vor diesem körperfeindlichen Walkjanker, weshalb ihm somit auch jeder dazugehörende feierliche Anlass ein Graus war. Leider stand gerade dieses Kleidungsstück, beziehungsweise das Gewand aus gewalktem Material im Generellen, bei den Pichlbergern immer an oberster Stelle, bei der Beliebtheit jetzt. Kein Pichlberger ohne seinen Walkjanker!, hat der Leitenbauer immer ausgerufen, jener Leitenbauer, bei dem die Mutter des Norbert als Landarbeiterin, als Dirn also, wie diese im Volksmund heutzutage immer noch heißen, angestellt war. Als Leitenbauerdirn war sie auch nur bei den Leuten in Pichlberg bekannt. Die Leitenbauerdirn mit ihrem unehelichen Bankert, womit sie den Norbert gemeint haben, von Anfang an. So wie sie auch den Leitenbauer nur als Leitenbauer bezeichnet haben, weil das, wie in der Steiermark üblich, sein Hofname, sein Vulgoname also, war. Und das deshalb, weil der Leitenbauerhof am Ende eines großflächigen Hanges, eben dieser Leiten, lag. Hat man über ihn und seine Familie gesprochen, ist immer über den Leitenbauer, über die Leitenbauerischen geredet worden. Haben sie vom Norbert und seiner Mutter geredet, hat es immer die Leitenbauerdirn und ihr Bankert geheißen. Die Frau des Leitenbauer hieß Leitenbauerin. Nicht Leitenbäuerin, wie man es vielleicht hätte glauben mögen, sondern Leitenbauerin. Vom Moment der Heirat an ist sie zur Leitenbauerin geworden. Die Eheschließung hat blitzartig das Individuelle in ihr zerstört. Der Leitenbauer und die Leitenbauerin haben sich vereinigt, nicht nur kirchlich jetzt, sondern auch geistig und vom Ausschauen her. Die Leitenbauerin ist zum Leitenbauer ohne Schnurrbart, dafür mit Brüsten, geworden. Diese Brüste, deren palatschinkenartige Konturen durch den Dirndlstoff sichtbar wurden, quetschte sie meistens in ein viel zu enges Dirndlkleid. Der Leitenbauer hat die Leitenbauerin von der attraktiven Frau zum Arbeitstier gemacht, zum Muli, wie er sie auch nannte. Ist das Fressen schon fertig, du Muli, hat der Leitenbauer nicht nur einmal zu ihr gesagt und ihr die Wange getätschelt dabei, so fest oder so locker, dass es gerade noch als Tätscheln durchging und kein Fotzen war. Seiner Meinung nach ist der Norbert am Leitenbauerhof als uneheliches Kind der Dirn von den Leitenbauerischen immer nur geduldet gewesen, nie erwünscht. Als eben dieser Bankert benannt, hatte der Norbert von Anfang an kein schönes Leben am Leitenbauerhof, wie er immer sagt. Und als ihn dann die Mutter in das besagte Arnautovič Kinderheim gegeben, ihr eigenes Kind weggegeben hat, wie ihr die Pichlberger hinterrücks immer vorhielten, ohne die wahren Hintergründe zu kennen, die haben sie nicht interessiert, hat ihn das in der momentanen Situation nicht in diesem tragischen Maße getroffen, wie man hätte meinen können. Viel mehr getroffen hat ihn der aufgezwungene Kindersteireranzug mit dem hellblauen Walkjanker als dessen
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