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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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überweisen ließ, wäre ich kaum über die Runden gekommen. Bruno wollte, wie er sich selbstgefällig ausdrückte, mir auch in Notzeiten redlich zur Seite stehen. Ich solle nicht glauben, daß er mich im Stich lasse, vor allem nicht jetzt, wo ich »auf mich selbst angewiesen war und eine starke Stütze nötig hatte«.
    Unlängst hatte er mir gestanden, daß er zwar Abwechslung suchte, einem festen Verhältnis aber lieber aus dem Weg ging. Nachdem ich ihn mit meiner krankhaften Schlafsucht nahezu impotent gemacht hätte, brauche er dringend eine Selbstbestätigung als Mann, und die suche er natürlich bei jüngeren Frauen. Disco-Häschen wurden schnell anhänglich, wollten Geschenke, was auf die Dauer ziemlich teuer wurde. Aber sie waren einfacher zu handhaben als reifere Frauen, die eine echte Beziehung suchten, Ansprüche stellten und nicht immer straffe Oberschenkel hatten.
    Bruno war Leiter des Globus-Verlages, der von einem großen Lebensmittelkonzern als »kulturelles Aushängeschild« finanziert wurde. Der Globus-Verlag war auf populäre Sachbücher spezialisiert, gab Bildbände über fremde Länder oder spezifische Themen – Vögel, Tiere, Segelschiffe, chinesische Küche usw. – heraus. Die Bücher wurden zweimal jährlich aufwendig lanciert: Prospekte an jeden Haushalt, Fernsehspots, Wettbewerbe. Als Fotografen und Textautoren wurden neben echten Profis auch Amateure engagiert, aus der Überlegung heraus, daß diese billiger zu haben waren. Die Bildbände gaben sich
    »anspruchsvoll«, aber nicht elitär. Kultur im Rahmen. Denken in Zellophan. Die Bücher sollten, wie Bruno formulierte, »der Putzfrau und dem Herrn Direktor«
    gefallen. Als Nichtakademiker hatte er hierfür eine gute Nase. Und da er merkte, daß das Buchgeschäft in letzter Zeit stagnierte, hatte er CDs und Elektronik für Kinder in das Sortiment eingeführt.
    Bruno stammte aus Romont, einem Städtchen in der Nähe von Freiburg, aus ziemlich einfachen Verhältnissen. Großvater Chardonne war Metzger gewesen.
    Sein jüngster Sohn, Brunos Vater, hatte es immerhin bis zum Elektrofachmann gebracht. Die Gegend war erzkatholisch, Empfängnisverhütung sahen die Kirchenväter als Sünde an; folglich hatte Brunos Mutter acht Kindern das Leben geschenkt. Zwei Söhne waren Bahnbeamte, einer Lehrer. Bruno, der Zweitälteste und intelligenteste, hatte zuerst eine Typographenlehre gemacht, bevor er sich als Sportjournalist ins Zeug legte. Er war knapp vierundzwanzig, als er mit einem Freund eine Sportzeitung gründete, die erstaunlich bald eine hohe Auflage erreichte. Fünf Jahre später wurde ihm die Leitung des Globus-Verlages 11
    angeboten. Die Zeitung führte er noch eine Weile als Hobby weiter, bis ihm das Ganze zuviel wurde und er seinen Teil dem Partner überließ.
    Während unserer ganzen Ehe sah ich Brunos Sippe nur bei seltenen Familienanlässen. Sie war, wie er zynisch sagte, »nicht überall vorzeigbar«. Mir gegenüber zeigten sie sich übertrieben zuvorkommend und von einer Scheuheit, die jede Spontaneität – die meine inbegriffen – im Keim erstickte. Gleichwohl waren sie mir lieber als manche Spießbürger der sogenannten besseren Kreise. Sie spielten sich nicht auf und hatten, trotz ihrer Ungeschliffenheit, eine herzöffnende Arglosigkeit und Wärme.
    Bruno war ein vorbildlicher Planer, ein kühler Kopf, zu blitzschnellen, kühnen und gewinnbringenden Entschlüssen fähig. In seinen tiefen Gemütsregungen aber blieb er mit dem erzkatholischen, langweiligen Pflaster seiner Kindheit verbunden.
    Er war mehrschichtig wie eine Zwiebel: innen die dunklen Tabus, die urtümlichen Zwangs- und Moralvorstellungen, dann eine althergebrachte Rücksichtslosigkeit, eine verschlagene Fähigkeit zum Überlebenskampf. Und schließlich eine Überfülle von Theorien und vom Verstand gesteuerten Initiativen, auch eine Faszination, gepaart mit Abneigung, für alles, was aus der Reihe tanzte, und ich gehörte dazu.
    In meiner Arglosigkeit hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, warum Bruno mich unbedingt wollte. Erst später wurde mir klar, daß ich nicht nur seiner schamhaften Neigung zum Exotischen entsprach, sondern auch für ihn den Inbegriff gesellschaftlichen Aufstiegs verkörperte.
    »Julie Saint-Privaz? Sind Sie denn von Adel?« hatte seine naive Frage gelautet, als wir damals in Arles unsere Namen austauschten und er mich in seinem blauen Taunus nach Hause fuhr. Ich war überrascht, weil ich diese Frage zum erstenmal hörte und sie
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