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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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erheben. In dieser Ruhe und Verschmelzung umarmten wir uns, fühlten unsere Lust, behutsam zunächst, dann mit wachsender Begierde. Das Wiederaufblühen unserer Kräfte konnten wir an dem messen, wonach unsere Körper verlangten. Dabei erforschten wir immer tiefer die Welt der Gefühle, nährten uns von diesem Hinaufschwingen des Herzens, und der Gedanke, daß es mal eine Zeit gegeben hatte, als wir uns nicht einmal kannten, schien uns sehr merkwürdig.
    Der August ging vorbei; Ken begann wieder, frühmorgens zu trainieren. Ich lief neben ihm her, im gleichen Rhythmus, jeden Tag hielt ich länger mit ihm Schritt.
    Bald jedoch kam der Augenblick, als er mir einen lachenden Blick zuwarf, seinen Lauf beschleunigte. Dann hielt ich an, außer Atem und glücklich, sah ihm nach, wie seine Gestalt immer kleiner wurde, sich in der Weite des Strandes verlor. Ich wanderte am Wellenrand, den Wind in meinem Haar und das Rauschen der Wellen in den Ohren, und sah mich nach Muscheln um. Meine Dunkelkammer war inzwischen eingerichtet; durch die Silbermuschel, die Ken für mich anfertigen ließ, 557
    war ich auf den Gedanken gekommen, Muscheln durch Makro-Aufnahmen in Blumen und Blätter zu verwandeln, um die Analogie zwischen Pflanzen- und Meereswelt zu verdeutlichen. Faszinierend, wirklich. Vertieft in meine Beobachtung, merkte ich kaum, wie die Zeit verging. Und wenn ich nach einer Weile geistesabwesend aufblickte, sah ich Ken in der Ferne auftauchen, das schwarze Haar auf dem Rücken wehend, wunderschön. Ihn anzusehen war mir noch wichtiger als alles andere. Sobald er mich erblickte, lief er langsamer. Er kam mir entgegen, lachend und außer Atem, legte den Arm um mich. Ich sah die helleren Flecken auf seinem Arm, eine Mischung aus Gold und Rosa: meine Haut mit der seinen verwachsen. Dr. Matsuda meinte, daß sich die Narben im Lauf der Zeit immer mehr zurückbilden würden. Und da Ken täglich mit den Schlegeln umging, erlangten sein Handgelenk und seine Finger bald wieder ihre volle Beweglichkeit zurück.
    Ich bekam zwei Briefe. Der eine war von Maître Perrot, meinem Rechtsanwalt.
    Er teilte mir mit, daß die Klage eingereicht sei und Bruno in die Scheidung einwilligte. Die Gerichtsverhandlung fände Mitte Oktober statt. Er gab mir das Datum. Für die Unterzeichnung des Scheidungsprotokolls müßte ich selbstverständlich anwesend sein. Da es noch Einzelheiten zu besprechen gab, empfahl er mir, schon früher in die Schweiz zurückzukehren.
    Der zweite Brief war von Bruno. Ich betrachtete gleichgültig den Umschlag; er war einverstanden, sich scheiden zu lassen. Das Weitere interessierte mich nicht.
    Ken hob amüsiert die Brauen.
    »Willst du den Brief nicht lesen?«
    Wir waren gerade von unserem Strandlauf zurückgekehrt, hatten geduscht und saßen beim Frühstück. Es duftete nach frischem Kaffee und Toast. Ich machte den Brief auf. Er lautete:
    »Wenn ich mich je Illusionen über Dein wahres Wesen hingegeben habe, hast Du alles getan, um diese Illusionen zu zerstören. Und Du erlaubst mir sicher die Bemerkung, daß mir in meinem Leben kaum ein Wesen begegnete, das selbstsüchtiger war als du. Mangel an Geduld kannst Du mir weiß Gott nicht vorwerfen. Ich habe stets gehofft, daß Du von Deiner Ichbezogenheit loskommen würdest, ein wenig Dankbarkeit zeigtest für das, was ich für Dich getan habe. Aber Dankbarkeit ist ein Fremdwort für Dich. Ein japanisches, falls Du mir die zynische Bemerkung gestattest. Franca hat mir berichtet, wie die Dinge in Tokio gelaufen sind. Ehebruch nennt man das, was Du dort treibst. Es ist nicht das erste Mal, aber jetzt hat meine Nachsicht ein Ende. Dir ist wohl klar, daß eine Abfindungssumme unter diesen Umständen auf keinen Fall in Frage kommt. Die Kosten Deines Anwalts wirst Du auch tragen müssen. Und während Du Dich mit einem fragwürdigen Exoten abgibst, sitze ich auf meiner Terrasse, atme den Wind der Freiheit ein. Glaube nicht, daß ich ein hartherziger Mensch bin. Ich werde Dir helfen, wenn Du mich nötig hast. Aber nur dann, wenn Du ganz tief im Dreck 558
    steckst, auf beiden Augen blind wirst oder im Rollstuhl landest. Es ist Deine Schuld, daß alles so gekommen ist. Suche den Fehler nicht bei anderen, sondern einzig und allein bei Dir.«
    Der Toaster warf geröstetes Brot aus. Ken legte eine Schnitte auf meinen Teller.
    »Nun, was schreibt er denn?«
    Ich reichte ihm den Brief. Ken las ihn und grinste.
    »Armer Kerl! «
    Ich biß mir auf die Lippen.
    »Ich werde wohl bald fahren
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