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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel
Autoren: Federica de Cesco
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müssen.«
    »Soll ich mitkommen? Deinem Ex den Boden etwas heiß machen?«
    Ich hob den Kopf und sah ihn fest an.
    »Nein, Ken. Wenn ich es jetzt nicht allein schaffe, wann denn? Eine Frau sollte wissen, was sie will. Die Dinge, die jetzt auf mich warten, kommen mir so unwichtig, so lächerlich einfach vor. Ich habe es lange nicht gewußt.«
    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Mir scheint, du bist ziemlich erbost. Gewisse Leute sollten dir jetzt lieber nicht in die Quere kommen. Wie lange wirst du wegbleiben?« setzte er hinzu.
    »Zwei oder drei Wochen. Vielleicht einen Monat. Und ich kann es kaum mehr ertragen, zu warten, bis ich gehe. Ich will bei dir sein. An nichts anderes mehr denken müssen.«
    »Es wird mir schwerfallen, hier allein zu bleiben«, sagte er. »Ich werde mir ein paar Whiskyflaschen besorgen und sämtliche Kassetten von Puccini. Ich werde in alten Neurosen wühlen, dich überall sehen, im Sonnenlicht, im Meer, im Glanz des Mondes. Ich werde mich an die Verzückung erinnern, die wir erlebt haben, dem Schmerz allzu vieler Zärtlichkeiten nachtrauern. Mein Herz wird aus Liebe zu dir bluten. Ich werde schlafen, wo du schläfst, dich im Traum begehren, deine Seele suchen und mich nach deinem Körper sehnen. Klingt das allzu romantisch?«
    Ich lächelte schwach.
    »Ich lasse dir einen Teil meiner Haut.«
    »Du hast sie mir geschenkt«, sagte er. »Ich habe sie nehmen müssen, weil ich dich liebe. Sie ist noch im Werden begriffen. Sie wird schön, glaube ich.«
    Lächelnd fügte er hinzu:
    »Willst du nicht deinen Toast essen, solange er warm ist?«
    »Ich kann nicht.«
    »Dann trink.«
    Er hob die Kanne und schenkte mir Kaffee ein. Ich neigte mich über den Tisch; streichelte seine Handfläche, dann sein Handgelenk, seinen nackten Arm. Wir fühlten unseren Herzschlag, unsere Gesichter berührten sich. Wir konnten nicht mehr lächeln, wir hatten zu viel damit zu tun, uns anzusehen. Ich preßte meine Lippen auf seine Schulter, auf meine Haut, wiedergeboren auf seinem Körper, 559
    warm von seiner Wärme, feucht von seinem Schweiß, atmend und lebend mit ihm.
    Es war soweit, daß ich ihn verlassen konnte. Keine Trennung, nein, das gab es für uns nicht mehr. Unsere Liebe hatte ihre Ewigkeit gefunden, die Zeit besiegt.
    »Trink!« flüsterte er. »Trink deinen Kaffee aus. Noch etwas Milch? Zucker?«
    Ich hob die Tasse an meine Lippen und sagte:
    »Ich sollte mich wohl nach den Flügen erkundigen.«
    Es war an einem Freitag. Die Maschine der Lufthansa LH-711, von Tokio-Narita nach Frankfurt, mit Anschluß nach Genf, flog eine Woche später. Ich reservierte einen Platz. Ken würde mich nach Tokio begleiten. Wir würden am Tag vorher mit dem Zug fahren und eine Nacht in Narita verbringen. Das Flugzeug startete um eins.
    Schnell wollte ich gehen und schnell wiederkommen. Gelassen bleiben, keine Mißgunst empfinden. Den ganzen Ballast loswerden und alles, was vorher war, ohne Scheu oder Zorn betrachten. Es war ein Lebensabschnitt ohne Bedeutung gewesen, nichts als eine Etappe auf dem Weg zu ihm.
    Ganz so ruhig, wie ich sein wollte, war ich aber nicht. Ich dachte zuviel darüber nach. Nachts schlief ich schlecht. Meine Nervosität machte sich physisch bemerkbar. Seit ein paar Tagen hatte ich kurze Anfälle von Übelkeit, fühlte mich schwindlig und weich in den Knien. Ich tat alles, damit Ken es nicht merkte. Er sollte nicht den Eindruck haben, daß ich mich wieder einschüchtern ließ. Aber ich wußte, daß ich ihm meine Beklemmung nicht lange verheimlichen konnte. Ihm entging nichts, was mich betraf.
    Am Tag vor unserer Abreise, als ich im Morgenlicht auf Ken wartete, der bis zum Leuchtturm gelaufen war, traf ich Kimiko am Strand. Ich sah sie schon von weitem. Sie kam vom Dorf, trug ihre blauen Pluderhosen, dazu einen schwarzen Männerpullover. Das blauweiße Tenugui-Tuch war um ihr Haar geschlungen. In der einen Hand hielt sie ihren Eimer, in der anderen Holzsandalen. Ich fühlte meine Wangen heiß werden. Seit jener Nacht auf dem Berg waren fast drei Monate vergangen. Ich hatte sie seither nicht mehr gesehen. Inzwischen hatte ich besser Japanisch gelernt; ich war froh, daß ich jetzt mit ihr sprechen konnte, obwohl mir ihr Inseldialekt teilweise unverständlich blieb. Ich ging ihr entgegen und verneigte mich. Sie stellte ihren Eimer in den Sand. Darin sah ich Krabben, gelatineartige Tintenfische und kleine, noch zückende Aale. Ich wandte rasch die Augen ab.
    Kimiko stand mit leicht
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