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Jerry Cotton - 0500 - Sterben will ich in New York

Jerry Cotton - 0500 - Sterben will ich in New York

Titel: Jerry Cotton - 0500 - Sterben will ich in New York
Autoren: Delfried Kaufmann
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Auch in New York gibt es Kirchen, deren Glocken die Stunden schlagen. Vom Turm der St. Mary Cathedral hallte der letzte Schlag der zwölften Stunde über das Melrose-Viertel im Stadtteil Bronx.
    Frank Gay hielt die Hand des Mädchens noch fest, als sie nebeneinander die Treppe hinuntergingen. Er kannte Marian Dagh seit sechsunddreißig Stunden, und er hatte in dieser Zeit nicht mehr über sie erfahren als ihren Namen.
    »Ich bringe dich bis zur Subway-Station!«, sagte er plötzlich.
    »Ich habe einen Wagen.«
    »Okay, ich bringe dich also zum Wagen.«
    »Bring mich nirgendwohin, Frank. Unser Abschied findet hier statt!« Sie wollte ihn küssen.
    Er wich aus. »Warum benimmst du dich so merkwürdig?«
    »Ist es merkwürdig, dass ein junges Mädchen einen jungen Mann küssen will?«
    »Weich nicht aus! Seit gestern sind wir fast ununterbrochen zusammen, und doch weiß ich nichts von dir.«
    »Du weißt, dass ich mich in dich verliebt habe. Ist das nichts?«
    Ärgerlich strich er eine blonde Haarsträhne aus seiner Stirn. »Du hältst mich zum Narren. Komm, gehen wir zu deinem Wagen! Wo steht er?«
    Sie befreite ihren Arm aus seinem Griff. Ihr Gesicht war ernst. »Nicht vor dem Haus. Es tut mir Leid, Frank, aber du darfst mich nicht zum Auto bringen. Du darfst mir auch nicht folgen. Versprich es mir, bitte!«
    »Zum Teufel! Warum sollte ich denn…« Sie legte ihm die Hand auf den Mund. »Zerstöre nicht alles, Frank. Glaube mir, dass ich wichtige Gründe habe.«
    Nur langsam wich der Ausdruck des Zorns aus seinem Gesicht. »Gib mir wenigstens deine Telefonnummer!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde dich anrufen.«
    Er unternahm einen letzten Versuch »Die Gegend ist unsicher. Wir sind in der Bronx. In diesem Bezirk passieren viele Überfälle auf Frauen, Marian.«
    »Unsinn! Es ist noch nicht spät. Auf Wiedersehen, Frank! Und danke!«
    Der Kuss dauerte lange. Endlich löste sie sich von ihm, schlüpfte aus der Tür, winkte ihm vom Bürgersteig aus zu und ging schnell die Straße hinunter. An der Ecke drehte sie sich um und hob den Arm. Sie hielt die Handtasche in der Hand und winkte damit. Dann verschwand sie.
    Frank Gay zögerte. Alles in ihm drängte danach, Marian zu folgen, ihr Geheimnis zu lüften. Er bezwang sich. Er drehte sich um und schloss die Tür.
    In dem Augenblick, in dem er den Schlüssel abzog, hörte er den gellenden Entsetzensschrei.
    »Nein«, flüsterte er. »Marian -nein.« Er verlor kostbare Sekunden, als ihm der Schlüssel aus den zitternden Händen fiel. Als er endlich die Tür aufriss, lag die Straße in völliger Ruhe vor ihm. Er rannte bis zu der Stelle, an der sich Marian noch einmal umgedreht und ihm zugewinkt hatte.
    Eine Sackgasse, die als Zufahrtsweg zu einer jetzt stillgelegten Fabrik gedient hatte, mündete hier. Zehn Schritte weiter in der Einfahrt sah Gay einen Wagen stehen, eine rote Mercury-Limousine mit schwarzem Dach. Der Wagenschlag zum Fahrersitz stand offen. Etwas Weißes lag vor dem Auto auf dem Pflaster. Frank bückte sich. Als er den weißen Gegenstand berührte, wurde er wie von einem Fieberanfall geschüttelt. Er hielt einen von Marians Handschuhen in den Händen. »Hilfe«, flüsterte er, unfähig zu schreien.
    Ein großer Schatten fiel über ihn. Gay duckte sich tiefer, schnellte herum. Für Sekundenbruchteile sah er die schwere Gestalt eines Mannes, aber es war zu spät. Dem niedersausenden Hieb konnte er nicht mehr ausweichen. Der Schlag traf seinen Kopf. Er fiel zurück gegen den Wagen, drehte sich um die eigene Achse und brach bewusstlos zusammen.
    Als er wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht im Straßendreck. Der Mercury war verschwunden. Einzig der weiße Handschuh in seiner zusammengekrampften Faust verriet ihm, dass er nicht geträumt hatte.
    Mühsam stand Frank Gay auf. Er machte sich torkelnd auf den Weg zum 55. Polizeirevier, der zuständigen Wache für den Melrose-Bezirk.
    Als Gay das Reviergebäude erreichte, schlug die Turmuhr von der St. Mary Cathedral zweimal. Es waren keine echten Glockenschläge. Sie kamen von einem Tonband und wurden über eine Lautsprecheranlage verstärkt, aber sie klangen nahezu echt.
    ***
    Der Laternenpfahl, an dem ich lehnte, war glatt und als Rückenstütze sehr bequem. Er hatte nur einen Nachteil: Er stand dem Eingang zum 55. Polizeirevier unmittelbar gegenüber.
    Das 55. war in einem altmodischen zweistöckigen Gebäude untergebracht. Zu ihm führte eine breite Freitreppe, die auf einem kleinen Platz endete, auf
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