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Sieh dich nicht um

Sieh dich nicht um

Titel: Sieh dich nicht um
Autoren: Mary Higgins Clark
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der Rockefeller Plaza Schlittschuh.
    Wie immer wurde Lacey von den Jungen stürmisch begrüßt.
    Die schüchterne Bonnie kuschelte sich an sie. »Ich habe dich sehr vermißt«, sagte sie. Jay verkündete, daß Lacey wirklich hinreißend aussah, und fügte hinzu, der Monat in East Hampton habe ihr offenbar gutgetan.
    »Es war wirklich affengeil«, sagte Lacey und bemerkte schadenfroh, daß er zusammenzuckte. Jay hatte eine Abneigung gegen Slang, die schon an Snobismus grenzte.
    Beim Essen wollte Todd, der sich für Immobilien und den Beruf seiner Tante interessierte, alles über den New Yorker
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    Wohnungsmarkt wissen.
    »Es wird wieder besser«, antwortete sie. »Heute habe ich einen vielversprechenden neuen Auftrag bekommen.« Sie erzählte ihrer Familie von Isabelle Waring und sah, daß Alex Carbine plötzlich aufmerkte. »Kennen Sie Mrs. Waring?« fragte sie.
    »Nein«, erwiderte er. »Aber Jimmy Landi, und ich bin ihrer Tochter Heather begegnet. Eine wunderschöne junge Frau. Es war eine schreckliche Tragödie. Jay, Sie hatten doch geschäftlich mit Landi zu tun. Sicher haben Sie Heather auch kennengelernt. Sie war oft im Restaurant.«
    Zu ihrem Erstaunen stellte Lacey fest, daß ihr Schwager puterrot anlief.
    »Nein, nie gesehen«, entgegnete er gereizt. »Meine Geschäftsbeziehungen mit Jimmy Landi liegen schon ein paar Jahre zurück. Wer möchte noch eine Scheibe Lammbraten?«

    Es war sieben Uhr abends. An der Bar herrschte großer Andrang, und allmählich trafen die Gäste ein, die fürs Abendessen reserviert hatten. Eigentlich hätte er hinuntergehen und die Leute begrüßen müssen, aber er konnte sich nicht dazu aufraffen. Heute war kein guter Tag für ihn gewesen. Nach Isabelles Anruf hatte er sich niedergeschlagen gefühlt und wieder an Heather denken müssen, wie sie eingeschlossen in dem umgestürzten Auto verbrannte. Es hatte eine Weile gedauert, dieses schreckliche Bild zu verscheuchen.
    Das tiefe Licht der untergehenden Sonne fiel durch die hohen Fenster seines holzgetäfelten Büros. Es lag in einem Backsteingebäude in der 56. Straße West, ebenso wie das Venezia, das Restaurant, das Jimmy vor dreißig Jahren eröffnet hatte.
    Drei Vorgänger hintereinander hatten hier Pleite gemacht, bevor er das Lokal übernommen hatte. Er und Isabelle waren
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    jung verheiratet gewesen und lebten – damals noch zur Miete –
    in einer Wohnung im ersten Stock. Inzwischen gehörte Jimmy das ganze Haus, und das Venezia war eines der beliebtesten Restaurants in Manhattan.
    Jimmy saß an seinem massiven Schreibtisch, der noch aus den Beständen der Postkutschengesellschaft Wells Fargo stammte.
    Er überlegte, warum es ihm so schwerfiel, nach unten zu gehen.
    Es lag nicht nur am Anruf seiner geschiedenen Frau. Das Lokal war mit Wandgemälden dekoriert, eine Idee, die er bei der Konkurrenz, dem Restaurant La Côte Basque, abgeschaut hatte.
    Die Gemälde stellten venezianische Szenen dar, und Heather war auf einigen davon abgebildet. Sie blickte als zweijähriges Mädchen aus einem Fenster des Dogenpalastes, wurde als Teenager von einem Gondoliere angehimmelt und schlenderte als Zwanzigjährige, ein Notenblatt in der Hand, über die Seufzerbrücke.
    Jimmy wußte, daß er die Bilder übermalen lassen mußte, um seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Doch wie Isabelle nicht von dem Gedanken loskam, daß ein Dritter die Schuld an Heathers Tod trug, brauchte er die ständige Gegenwart seiner Tochter. Wenn er durchs Lokal ging, spürte er ihren Blick auf sich und hatte das Gefühl, daß sie ganz nah bei ihm war.
    Jimmy war ein dunkelhäutiger Mann von siebenundsechzig Jahren. Sein schwarzes Haar war noch nicht ergraut, seine grüblerischen Augen unter den buschigen Brauen gaben seinem Gesicht einen zynischen Ausdruck, und durch seine mittelgroße, untersetzte Gestalt wirkte er wie ein Mann, der sich auf seine Körperkraft verläßt. Böse Zungen lästerten, daß Maßanzüge bei ihm reine Verschwendung seien. Auch im teuren Zwirn sehe er noch aus wie ein einfacher Arbeiter. Jimmy mußte schmunzeln, als er sich erinnerte, wie entrüstet Heather gewesen war, als ihr diese Bemerkung zugetragen wurde.
    Aber ich habe ihr gesagt, sie sollte nicht hinhören, dachte Jimmy lächelnd. Ich habe ihr erklärt, daß ich diese Kerle
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    finanziell alle in die Tasche stecken könnte, und nur das zählt.
    Er schüttelte den Kopf und hing weiter seinen Erinnerungen nach. Inzwischen wußte er besser denn je, daß nicht allein das
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