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Sieh dich nicht um

Sieh dich nicht um

Titel: Sieh dich nicht um
Autoren: Mary Higgins Clark
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Umgebung. Sie war so klug, so aufmerksam, so begabt. So vertrauensselig…
    Warum hast du das alles weggeworfen, Heather? fragte sich Isabelle wohl schon zum hundertsten Mal seit dem Tod ihrer Tochter. Nachdem du als Kind miterlebt hattest, wie ein Auto von der Fahrbahn abkam und sich überschlug, hattest du immer Angst vor Glatteis. Du wolltest sogar nach Kalifornien ziehen, weil es dort keinen Winter gibt. Aus welchem Grund bist du um zwei Uhr morgens mit dem Auto über einen verschneiten Berg gefahren? Du warst doch erst vierundzwanzig und hattest dein ganzes Leben vor dir. Was ist in jener Nacht geschehen? Was hat dich dazu gebracht, dich hinters Steuer zu setzen? Wer hat dich dazu gebracht?
    Die Haussprechanlage riß Isabelle aus ihren quälenden Grübeleien und Zweifeln. Der Pförtner meldete, daß Miss Farrell zu ihrem Termin um zehn Uhr eingetroffen sei.

    Lacey war nicht auf Isabelle Warings fahrige, überschwengliche Begrüßung gefaßt. »Mein Gott, Sie sehen viel jünger aus, als ich Sie in Erinnerung habe«, sprudelte die ältere Frau hervor. »Wie alt sind Sie denn? Dreißig? Meine Tochter wäre nächste Woche fünfundzwanzig geworden. Diese Wohnung gehörte ihr. Ihr Vater hat sie für sie gekauft. Es ist eine schreckliche Umkehrung der natürlichen Ordnung, finden Sie nicht? Normal wäre es, wenn ich zuerst sterbe und sie meinen Haushalt auflöst.«
    »Ich habe zwei Neffen und eine Nichte«, antwortete Lacey.
    »Nicht auszudenken, wenn einem von ihnen etwas zustoßen sollte. Ich glaube, ich kann nachfühlen, was Sie durchmachen.«
    Isabelle folgte, während Lacey ihren geschulten Blick durch die Räume schweifen ließ. Das Untergeschoß bestand aus einer Eingangshalle, einem großen Wohnzimmer, einem Eßzimmer, einer kleinen Bibliothek, einer Küche und einer Toilette. Im oberen Stockwerk, das man über eine Wendeltreppe erreichte,
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    lagen ein weiteres Wohnzimmer, Ankleidezimmer, Schlafzimmer und Bad.
    »Eine Menge Platz für eine junge Frau«, sagte Isabelle. »Ihr Vater hat ihr die Wohnung geschenkt. Er konnte gar nicht genug für sie tun. Doch sie ist trotzdem keine verwöhnte Göre geworden. Als sie nach dem Studium nach New York zog, wollte sie zuerst eine kleine Wohnung in der West Side kaufen.
    Da ist Jimmy fast an die Decke gegangen. Er fand, daß sie in einem Haus mit Portier besser aufgehoben wäre, denn ihre Sicherheit lag ihm sehr am Herzen. Jetzt möchte er, daß ich die Wohnung verkaufe und das Geld behalte. Er sagt, Heather hätte es sicher so gewollt. Außerdem verlangt er, ich soll mit dem Trauern aufhören und weitermachen mit meinem Leben. Es ist so schwer, loszulassen… Ich gebe mir solche Mühe, aber ich schaffe es einfach nicht…« Tränen traten ihr in die Augen.
    »Sind Sie sicher, daß Sie verkaufen wollen?« fragte Lacey, die in diesem Punkt Gewißheit brauchte.
    Hilflos sah sie zu, wie Isabelle Waring die mühsam gewahrte Fassung verlor und zu schluchzen anfing. »Ich wollte herausfinden, warum meine Tochter gestorben ist. Warum sie in jener Nacht Hals über Kopf das Skihotel verlassen hat. Warum sie nicht gewartet hat und wie geplant am nächsten Morgen mit ihren Freunden abgefahren ist. Warum hat sie ihre Pläne geändert? Ich bin sicher, daß jemand die Antwort kennt. Ich möchte den Grund erfahren. Ich weiß, daß sie sich wegen irgend etwas schreckliche Sorgen machte, aber sie hat es mir nicht verraten. Ich dachte, ich könnte hier in ihrer Wohnung oder bei ihren Freunden eine Erklärung finden. Aber ihr Vater will nicht, daß ich weiter andere Menschen belästige. Wahrscheinlich hat er recht. Wir müssen weiterleben. Und deshalb, Lacey, will ich die Wohnung verkaufen.«
    Lacey nahm Isabelles Hand. »Ich glaube, Heather hätte das auch gewollt«, sagte sie leise.
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    An diesem Abend fuhr Lacey die vierzig Kilometer nach Wyckoff in New Jersey, wo ihre Schwester Kit und ihre Mutter lebten. Seit Anfang August, als sie zu ihrem einmonatigen Urlaub in die Hamptons aufgebrochen war, hatte sie die beiden nicht mehr gesehen. Kit und ihr Mann Jay besaßen ein Ferienhaus auf Nantucket und drängten Lacey ständig, den Urlaub doch lieber mit ihnen zu verbringen.
    Als Lacey die George Washington Bridge überquerte, bereitete sie sich innerlich schon auf die Vorwürfe vor, die sicher gleich auf die Begrüßung folgen würden. »Du warst nur drei Tage lang bei uns«, würde ihr Schwager ihr vorhalten.
    »Was gibt es denn in East Hampton, das es in Nantucket nicht
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