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Sieg des Herzens

Sieg des Herzens

Titel: Sieg des Herzens
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gedichte, kleine Erzählungen, Satiren über ihn und die Brüder, Verse, Verse und immer wieder Verse. Und dann etwas Schreckliches, etwas Grauenerregendes – ein kleines Liebeslied.
    Hieronymus faltete spontan die Hände, als er den Teufel so leibhaftig vor sich sah, einen Teufel aus gelbem Pergament und schwarzen Buchstaben.
    Wie kam der Junge dazu, Liebesgedichte zu schreiben? War er bereits so weit entwickelt, daß er die kleine Mauerpforte kannte und sie nutzte?
    Sollte er in dieser Zelle etwa schon …?
    Das arme Weib, nein ›Gefäß der Sünde‹, dachte Hieronymus, denn der Jüngling hatte die härteste Pritsche des Klosters und nicht eine Federunterlage wie die seine. Aber er war ja auch der Abt.
    Jedenfalls untersuchte er das Bett nun genau, entdeckte jedoch trotz seiner kundigen Blicke keinerlei Anzeichen, die auf bestimmte Abenteuer hätten hinweisen können.
    Der Abt dachte deshalb: ein ganz Verdächtiger, ein durch und durch Raffinierter, Verdorbener!
    Eine Woche lang opferte Hieronymus aus pädagogischen Gründen seine Nachtruhe und saß hinter einem Busch bei der verschwiegenen kleinen Pforte, um den frühreifen, scheinheiligen Burschen auf frischer Tat zu ertappen und sich auch einmal das lasterhafte Mädchen anzusehen, das an einem solch grünen Burschen Gefallen finden konnte.
    Jedoch vergebens. Entweder kannte der Ausgekochte einen anderen Weg (der Gedanke daran versetzte den Abt in hellste Empörung), oder er hatte die Falle gewittert und ließ bis zu neuen Taten eine gewisse Frist verstreichen.
    Wie auch immer – am neunten Tag nach den durchwachten Nächten unterzog der Abt, während die Brüder beteten, die Zelle des Jungen einer nochmaligen Durchsuchung und erlebte den Schock, ein neues Liebesgedicht zu finden.
    Schreck, Empörung, aber auch Neid bohrten sich Hieronymus wie Boxerfäuste in die Magengrube.
    Zauberhafter Frühlingssang,
Tau auf zarten Blütenkelchen,
leises Lispeln linder Winde
und der Bäume träumend Nicken,
Morgenzauber der Natur
gleichen deinem ersten Kuß.
    Das war zuviel! Das ging zu weit! Das stand mit einem Fuß zwar im Himmel, jedoch mit dem anderen in der tiefsten Hölle!
    Dem Abt wurde das Ganze unheimlich. Der Jüngling war ein Mann geworden – aber wodurch war er das geworden?
    Können Theorie und Sehnsucht formen?
    Hieronymus' Geist versagte bei derlei Fragen. Hieronymus begann zu schwitzen. Und wenn Hieronymus schwitzte, neigte er dazu, überstürzte Entschlüsse zu fassen. So auch jetzt. Er blickte zum Kruzifix an der Wand, holte sich von dort Rat, spürte, daß seine Entscheidung gebilligt wurde, nickte und verließ mit grimmigem Gesicht die Zelle.
    Wenige Tage später schloß der Bruder Pförtner das Tor des Klosters vor einem schmalen, blassen Jüngling auf, der tief aufatmend hinaustrat in das Leben, in die ersehnte, erträumte Freiheit, in die Sonne. Weit breitete er die Arme aus, schloß die Augen und sog in sich hinein die Luft der Natur, welche ganz anders war als die Luft innerhalb der Mauern, die zu verlassen er im Begriffe war. Er hörte nicht mehr, wie das Tor hinter ihm zufiel – für immer.
    »Leben, goldenes Leben, nun hast du mich!« jubelte er mit Tränen der Freude in den glänzenden Augen. »Leben, nun werfe ich mich dir in die Arme!«
    Indes, dieses Leben wurde ihm später ein einziger grauenvoller Fluch.
    Jauchze heute, weine morgen,
lächle, schluchze, falle, steh,
leb das Heute, nie das Morgen,
denn das Schicksal treibt dich doch.
Nie kannst du des Lebens Ufer
deutlich sehn, durch Nebelfernen
treibst du auf es zu, jedoch
nur das Schicksal kann es wissen,
ob am Riffe du zerschellst.
Nimm das Ruder, trau der Kraft,
die du fühlst, und glaube stets
an der Fahrten gutes Ende
denn nur Glauben trägt den Sieg,
das Vertrauen zu sich selbst!
    Drei Jahre flogen dahin, in denen das väterliche Geschäft den ganzen Einsatz des jungen Mannes erforderte. Nur nachts konnte er sich manchmal eine Stunde stehlen, um heimlich der Muse zu huldigen. Dann aber nahm er jeweils mit Andacht den Federkiel zur Hand und brachte glühende Verse seiner aufschäumenden Jugend zu Papier.
    Der gestrenge Vater bezeichnete solche Geistesprodukte seines Sohnes schlichtweg als ›Blödsinn‹, zumindest als ›Flausen‹. Mit seiner ganzen Autorität trieb er ihn ständig dazu an, schweißtreibenden körperlichen Einsatz, der beispielsweise beim Be- und Entladen der Wagen der Kauffahrer unumgänglich war, nicht zu scheuen.
    »Wer schwitzt«, so lautete ein Wort des
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