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Siebenschön

Siebenschön

Titel: Siebenschön
Autoren: Judith Winter
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Magermilchjoghurt.
    Das Kostüm für Margrets Party aus der Reinigung holen.
    Das Geld für die Putzfrau zurechtlegen.
    Alltäglichkeiten gegen den Horror. Doch ihre Strategie ging auf. Sie merkte, wie sich ihre Halsmuskeln ein wenig entspannten. Wie die Panik verebbte.
    Gut so. Weiter. Von wo kommt der Schmerz?
    Sie schloss die Augen und versuchte, ihren Körper zu erspüren. Da schien eine Wunde zu sein, ziemlich weit hinten am Kopf. Von dort kam ein unregelmäßiges, diffuses Stechen, das manchmal sprunghaft an- und anschließend wieder abschwoll.
    Okay, also eine Wunde am Kopf und Klebeband über den Lippen.
    Was bedeutete das?
    Das bedeutet, dass du entführt worden bist, gab sie sich selbst zur Antwort, während vor ihrem inneren Auge Bilder heraufdämmerten. Düstere, zutiefst verstörende Bilder: eine Kiste im Wald, tief unter der Erde. Der Kofferraum eines Autos, das langsam und schwerelos zum Grund eines Sees hinabsinkt. Und dann urplötzlich eine ganz andere Szenerie: eine Tiefgarage. Die Silhouette eines Menschen. Jemand, der direkt hinter ihr steht. Wie aus dem Boden gewachsen. Die Gestalt hob den Arm. Packt zu. Dreht sie so, dass sie mit dem Hinterkopf gegen das Auto kracht. Dann riss der Film abrupt, und die Gestalt verglomm in einem gleißenden Lichtblitz. Zurück blieben das Bewusstsein einer Verletzung an ihrem Kopf und der Schmerz, den die Wunde aussandte. Stoßweise im Takt ihres Herzens.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie stumm. »Was wollen Sie von mir?«
    Doch die Bilder kehrten nicht zurück.
    Sie erhielt keine Antwort.
    Dafür lag die Dunkelheit des Ortes, an den er sie verschleppt hatte, auf ihr wie ein Bleigewicht. Idiotischerweise musste Jenny ausgerechnet jetzt an ihren ersten Sex denken. An den schweren Körper von Jeffrey Carson, den sie auf einer Party kennengelernt hatte. An Kondome mit Erdbeeraroma, jede Menge Bier und grobe, hektische Bewegungen. In ihrer alten Heimat war das gewesen. Somerville, Massachusetts. So weit entfernt wie der Mars. Und bis zu diesem Augenblick hatte sie genau das auch immer als großes Glück betrachtet.
    Sie blinzelte eine Träne fort und konzentrierte sich wieder auf das, was sie wahrnahm. Sie lag auf etwas Hartem. So viel immerhinkonnte sie sagen. Dass da keine Matte oder Decke war, kein Stoff unter ihr. Nur diese harte glatte Fläche.
    Kein Holz, analysierte sie die Signale, die ihr Körper ihr sandte. Kein Holz, aber auch kein Steinboden.
    Der Rest des Raumes hatte hingegen noch immer keinerlei Konturen. Etwas, das Jenny schier um den Verstand brachte. Vielleicht noch mehr als die Tatsache, dass es so dunkel war. Was sollte das alles? Und wo waren auf einmal all die Erklärungen, von denen sie sonst so viele parat hatte?
    Sie konnte doch immer alles erklären. Jedem und jederzeit. Wenn Sie Ihrem Mann nicht klar und deutlich zu verstehen geben, dass sein Verhalten Sie quält, dann werden Sie niemals aus diesem Laufrad herauskommen. Wenn Sie Ihrer Tochter nicht endlich ein klares Ultimatum stellen, wird sie auch in Zukunft keinen Grund sehen, warum sie das warme Nest, das Sie ihr bieten, verlassen sollte. Warum sollte sie? Solche und ähnliche Dinge sagte sie den Menschen, die in ihrer Praxis Rat und Hilfe suchten, Tag für Tag. Und das mit Überzeugung. Denn im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen war Jenny von jeher der Ansicht gewesen, dass das Leben auf einem einzigen, einfachen Grundprinzip beruhte: wenn – dann. Folgerichtigkeit. Logik.
    Doch leider kapitulierte dieses bewährte Prinzip ausgerechnet in dieser Situation. Jenny hatte auf einmal das Gefühl, laut lachen zu müssen. Das, was hier mit ihr geschah, war nicht folgerichtig. Es war nicht einmal erklärlich. Es war einfach nur absurd.
    Sie versuchte, ihre Zehen zu bewegen, während ihr Verstand verzweifelt nach etwas suchte, das die Dinge wieder ins Lot brachte. Was hast du getan? Wer könnte etwas von dir wollen? Wem hast du eine so gravierende Verletzung zugefügt, dass er beschlossen hat, dir das hier anzutun?
    Die Fragen bohrten sich in ihre Gedanken wie Stilette, aber es gelang ihr nicht, auch nur eine einzige davon zu beantworten.
    Oder?
    Bleib bei der Wahrheit. Es gäbe da schon jemanden …
    Unsinn, schalt sie sich. Das gehört nicht zusammen. Wie denn? Die Eltern sind tot, und die Schwester war ein kleines Mädchen. Nichts davon passte zu den Bildern aus der Tiefgarage.
    Konzentrier dich lieber auf das, was ist.
    Er hatte ihr Hände und Füße gefesselt. Jenny fühlte etwas
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